"Free Charlie!"-Kampagne rechnet sich Chancen aus, Paragraf 166 StGB zu kippen

Wird der "Gotteslästerungsparagraf" endlich fallen?

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Screenshot aus dem "Free Charlie!"-Reel von Florian Chefai
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Mehr als 2.000 Personen unterstützen bereits die Petition zur Abschaffung des Paragrafen 166 StGB, nach dessen Wortlaut die überlebenden Mitglieder der Charlie Hebdo-Redaktion in Deutschland hätten verurteilt werden können. Mit dieser Anzahl an Mitzeichnern liegt die Petition schon bei den oberen zehn Prozent aller bisherigen Bundestagspetitionen. Um noch mehr Menschen zu erreichen, schaltet die "Free Charlie!"-Kampagne derzeit kurze Videoclips in den Sozialen Medien.

"Wir danken allen, die die Petition beim Deutschen Bundestag trotz des etwas komplizierteren Registrierungsverfahrens unterzeichnet haben, und hoffen, dass es am Ende noch etwas mehr werden", sagt gbs-Sprecher Michael Schmidt-Salomon, der die Petition im Namen der Giordano-Bruno-Stiftung eingereicht hat. "Sicherlich werden wir das Quorum von 50.000 Mitzeichnern nicht erreichen. Dies geschieht ohnehin nur in den allerseltensten Fällen, wenn ein Thema groß in den Medien ist. Für eine positive Behandlung der Petition ist das Erreichen des Quorums allerdings auch nicht erforderlich. Es hängt vielmehr von den Mehrheitsverhältnissen im Petitionsausschuss ab, ob ein Anliegen aufgegriffen wird oder nicht – und hier rechnen wir uns in der gegenwärtigen Legislaturperiode durchaus Chancen aus. Immerhin wurde die Forderung nach Abschaffung von Paragraf 166 StGB in der Vergangenheit sowohl von Teilen der SPD, der FDP, der Grünen als auch der Linken erhoben."

SPD-Juristen fordern die Streichung des Paragrafen

Schmidt-Salomon verweist in diesem Zusammenhang unter anderem auf den Beschluss der "Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen" (ASJ), die – ganz im Sinne der "Free Charlie!"-Kampagne – für die ersatzlose Streichung des Paragrafen 166 StGB votiert (siehe das Beschlussdokument der ASJ, S. 52): "Die Tatbestände der Beleidigung (§185 StGB) und der Volksverhetzung (§ 130 StGB) bieten bereits ausreichend Schutz gegen verbale Angriffe gegen die Person oder gegen schwerwiegende Herabsetzungen wegen der Zugehörigkeit zu einer – auch religiösen – Gruppe. Es gibt keinen Grund, religiöse Gruppen gegenüber anderen Gruppen zu privilegieren. Insbesondere aufgrund der jüngsten Ereignisse in Frankreich geht es jetzt darum, ein klarstellendes Signal zu setzen und zu verdeutlichen, dass es einen Vorrang der Freiheit vor dem Schutz religiöser Gefühle gibt. Besonders verfehlt erscheint es überdies, dass eine Verfolgung nur bei Störung des öffentlichen Friedens angeordnet wird, weil damit der 'Schutz' religiöser Gefühle umso ausgeprägter ist, je gewaltbereiter die Mitglieder der kritisierten Religion sind."

Der größte SPD-Landesverband, die SPD Nordrhein-Westfalen, hat diese Argumentation aufgegriffen und die Forderung nach Abschaffung des Paragrafen 166 StGB bei ihrem Landesparteitag im Januar 2021 beschlossen. "Es wäre zu hoffen", so Schmidt-Salomon, "dass die SPD-Mitglieder im Petitionsausschuss dies bei ihrer Entscheidung über die Petition berücksichtigen werden. Jedenfalls waren die Chancen, den alten 'Gotteslästerungsparagrafen' loszuwerden, nie so gut wie heute."

"Gesetze sollen Menschen schützen, nicht Bekenntnisse!"

Um noch mehr Menschen zu erreichen, schaltet die "Free Charlie!"-Kampagne derzeit kurze Videoclips in den Sozialen Medien. Der erste Clip, der von gbs-Mitarbeiter und Leiter des Hans-Albert-Instituts Florian Chefai produziert wurde, erinnert an das Attentat auf Charlie Hebdo und stellt klar, dass "Je suis Charlie!" heute nicht zuletzt bedeutet, für eine Abschaffung des Paragrafen 166 StGB einzutreten, der die Opfer des Terrors absurderweise zu Tätern macht. Im zweiten Clip erklärt Philipp Möller im Namen des Zentralrats der Konfessionsfreien, warum das Blasphemieverbot ein "Fremdkörper im liberalen Rechtsstaat" ist. Denn: "Gesetze sollen Menschen schützen, nicht Bekenntnisse!"

"Die Mitzeichnungsfrist bei einer Bundestagspetition beträgt nur 28 Tage", erläutert Schmidt-Salomon. "Im Falle unserer Petition ist nun weniger als die Hälfte dieser Zeit verstrichen. Deshalb hoffen wir, dass wir die Zahl der Mitzeichnenden noch verdoppeln können. Im Idealfall könnten wir vielleicht sogar in den fünfstelligen Bereich vorstoßen. Daher bitte ich alle, die es noch nicht getan haben, die Bundestagspetition zu unterzeichnen und andere darauf hinzuweisen. Alle notwendigen Informationen dazu findet man auf unserer Kampagnen-Website. Machen Sie bitte von Ihren demokratischen Rechten Gebrauch, denn es wäre mehr als peinlich, wenn dieser völlig aus der Zeit gefallene Paragraf im kommenden Jahr, zum zehnten Jahrestag des Anschlags auf Charlie Hebdo, noch immer Bestand hätte!"

Erstveröffentlichung auf der Website der Giordano-Bruno-Stiftung.

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