Interview

"Klare Kante gegenüber religiösen Fanatikern zeigen"

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Dr. Michael Schmidt-Salomon
Dr. Michael Schmidt-Salomon

Der Philosoph, Autor und Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung, Michael Schmidt-Salomon, gab der Westdeutschen Zeitung ein Interview, in dem er über die Initiative der Stiftung informierte, den "Gotteslästerungsparagrafen" abzuschaffen.

Peter Kurz: Herr Schmidt-Salomon, am Sonntag wird es neun Jahre her sein, dass Islamisten die Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo in Paris stürmten und elf Menschen ermordeten. Sie haben kürzlich auf eine deutsche Rechtslage hingewiesen, die zu einem befremdlichen Ergebnis führen würde. Sie schrieben: "Die überlebenden Mitglieder der Redaktion hätten, würde deutsches Recht in Frankreich gelten, verurteilt werden können, ja müssen." Wie meinen Sie das?

Michael Schmidt-Salomon: Nach dem sogenannten "Gotteslästerungsparagrafen" 166 StGB wird bestraft, "wer den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören". Was vor neun Jahren in Frankreich geschehen ist, lässt sich in dieser Weise interpretieren: Die Zeichnungen, die im Satiremagazin "Charlie Hebdo" veröffentlicht wurden, animierten Islamisten dazu, Terrorakte zu begehen, die den öffentlichen Frieden massiv störten. Nach deutschem Recht hätten die überlebenden Mitglieder der Redaktion daher mit Geldstrafen oder gar mit Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren rechnen müssen.

Das wäre aber doch ein wirklich absurdes Ergebnis. Werden da nicht die Opfer zu Tätern gemacht?

So ist es. Es handelt sich um eine katastrophale Umkehrung des Täter-Opfer-Prinzips. Denn selbstverständlich wird der öffentliche Friede nicht durch Künstlerinnen und Künstler gestört, die auf dem Boden des Grundgesetzes Religionen satirisch aufs Korn nehmen, sondern durch religiöse Fanatiker, die es nicht gelernt haben, auf Kritik in angemessener Weise zu reagieren.

Hat der § 166 Strafgesetzbuch in der praktischen Anwendung hierzulande eine Relevanz, gab und gibt es entsprechende Strafverfahren?

Vor zwei Jahren haben wir einen Exiliraner unterstützt, der in Stuttgart erstinstanzlich verurteilt worden war, weil er nach einer kritischen Bemerkung über Mohammed von einem gläubigen Muslim auf offener Straße attackiert wurde. Die Schläge des Täters führten also zur Verurteilung des Opfers. Solche Fälle sind aber selten. Die größte Wirkung entfaltet der Paragraf im juristischen Vorfeld, etwa wenn religionskritische Beiträge in den sozialen Medien gelöscht werden. So wurde ein Bild von zwei küssenden Männern vor dem Hintergrund der Kaaba in Mekka als "Hassbotschaft" interpretiert und von Facebook sowie Instagram gelöscht. Erfreulicherweise konnten wir mit unserer "juristischen Taskforce", dem Institut für Weltanschauungsrecht, beide Fälle gewinnen. Oft haben die Betroffenen aber nicht die Mittel, solch aufwändige Verfahren zu führen.

Die humanistische Giordano-Bruno-Stiftung, deren Vorstandssprecher Sie sind, will nun erreichen, dass der § 166 Strafgesetzbuch zum zehnten Jahrestag der Anschläge auf Charlie Hebdo abgeschafft sein wird. Wie soll das gelingen?

Wir werden eine Petition zur Abschaffung des § 166 StGB beim Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags einreichen und das Ganze mit einer entsprechenden Kampagne begleiten. Viele Künstlerinnen und Künstler haben dazu bereits ihre Unterstützung angekündigt. Dabei wollen wir verdeutlichen, dass § 166 StGB den öffentlichen Frieden gar nicht schützt, sondern ihn vielmehr gefährdet: Von seinem Wortlaut her stachelt der Paragraf Fundamentalisten nämlich regelrecht dazu an, vom "Faustrecht" Gebrauch zu machen und militant gegen satirische Kunst vorzugehen, da sie auf diese Weise belegen können, dass durch die vorgebliche Verletzung ihrer "religiösen Gefühle" der öffentliche Friede gefährdet ist und die verhasste Kritik unterbleiben sollte.

Welches sind Ihre wesentlichen Argumente?

Spätestens seit dem Terrorangriff der Hamas auf jüdische Männer, Frauen und Kinder im Oktober 2023 sollte der deutschen Politik bewusst sein, dass es an der Zeit ist, "klare Kante" gegenüber religiösen Fanatikern zu zeigen und das Profil des demokratischen Rechtsstaates zu schärfen.

Mit der Streichung von § 166 StGB käme Deutschland auch einer Forderung des UN-Menschenrechtskomitees nach, welches 2011 erklärte, dass Verbote von Darstellungen mangelnden Respekts vor einer Religion mit den Menschenrechten nicht in Einklang zu bringen sind. Zudem: Die deutsche Politik zeigt sich immer betroffen, wenn im Iran oder in Saudi-Arabien vermeintliche "Gotteslästerer" hingerichtet werden. Diese Reaktion wäre deutlich glaubwürdiger, wenn § 166 StGB, eines der letzten Rudimente der "Vermählung von Thron und Altar", aus unserer Rechtsordnung verschwunden wäre.

Sie haben eben vom "sogenannten Gotteslästerungsparagrafen" gesprochen. Vom Wortlaut her schützt der Paragraf aber weltanschauliche Bekenntnisse ebenso wie religiöse, oder?

Richtig, allerdings gab es niemals Verurteilungen aufgrund der Verletzung nicht-religiöser Bekenntnisse. Das liegt nun gewiss nicht daran, dass nicht-religiöse Menschen nicht verunglimpft würden. Wie harmlos ist doch das satirische Spiel mit religiösen Inhalten, etwa in dem Monty Python-Film "Das Leben des Brian", gegenüber der Androhung ewiger Höllenqualen in Bibel und Koran! Letzteres drückt eine sehr viel größere Missachtung des Andersdenkenden aus. Doch religionsfreie Menschen greifen deshalb nicht zum Faustrecht. Sie haben gelernt, abweichende Meinungen zu tolerieren, was eine grundlegende Voraussetzung für das Zusammenleben in einer pluralen Gesellschaft ist. Das sollte man religiösen Menschen auch abverlangen.

Nun gibt es aber doch auch Ereignisse im Zusammenhang mit der sogenannten Gotteslästerung, nach denen Situationen eskalierten. Denken wir an die Koranverbrennungen in Schweden. Die führten und führen gar zu diplomatischen Verwerfungen, die Türkei stemmte sich danach gegen einen Beitritt Schwedens zur Nato. Sagen Sie auch vor diesem Hintergrund, eine Koranverbrennung müsse möglich sein?

Als deutscher Schriftsteller habe ich natürlich große Probleme mit Bücherverbrennungen. Allerdings habe ich auch Verständnis dafür, dass Ex-Muslime die Empörung über das Leid, das ihnen unter dem Diktat des islamischen Faschismus widerfahren ist, auf diese Weise zum Ausdruck bringen. Und was ist schon die Verbrennung eines Buches in Relation zur öffentlichen Hinrichtung von Zehntausenden von Menschen, die rein gar nichts verbrochen haben?! Wir müssen uns in diesem Zusammenhang doch fragen: Wie groß sollen unsere Zugeständnisse an Regime sein, die in erschreckender Permanenz gegen Menschenrechte verstoßen? War Appeasement-Politik gegenüber Extremisten jemals erfolgreich? Ich meine, wir sollten an dieser Stelle nicht vor den militanten Feinden der Freiheit einknicken, sondern vielmehr das Profil der offenen Gesellschaft stärken. Die Abschaffung des alten Gotteslästerungsparagrafen wäre dazu ein erster Schritt.

Sie sind also überzeugt, dass von der Streichung des Paragrafen keinerlei Gefahren für den öffentlichen Frieden ausgehen würden?

Ja. Wir würden den öffentlichen Frieden sogar auf ein stabileres Fundament stellen, indem wir verdeutlichen, dass Intoleranz gegenüber Kritik in unserem Rechtssystem nicht belohnt wird. Außerdem sollte man nicht vergessen, dass die Straftatbestände der Beleidigung (§ 185 StGB), der üblen Nachrede (§ 186 StGB), der Verleumdung (§ 187 StGB) und der Volksverhetzung (§ 130 StGB) weiterhin bestehen bleiben. Dass religiöse Bekenntnisse, Personen oder Gruppen einen über diese Paragrafen hinausgehenden Schutz benötigen, ist weder begründbar noch zeitgemäß. Auch die Religionen stehen nicht über dem Gesetz.

Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Westdeutschen Zeitung sowie Michael Schmidt-Salomons.

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