Spanien

"Nur ja ist ja" – Gesetz zur Garantie sexueller Freiheit tritt in Kraft

Nach jahrelangem zähen Ringen tritt in Spanien heute ein neues Gesetz in Kraft, das aktive Zustimmung zu sexuellen Handlungen notwendig macht. Das Gesetz bewertet nicht nur Formen sexualisierter Gewalt neu, sondern will eine Gesellschaft formen, in der diese seltener werden und Betroffene bessere Unterstützung erfahren. Während Rechte nun Männer unter Generalverdacht sehen und Gerichte teilweise Schwierigkeiten in der Beweisführung erkennen, freuen sich viele darüber, dass so patriarchale Strukturen aufgebrochen werden könnten.

Nicht weniger als die Auslöschung sexualisierter Gewalt hat sich das im September verabschiedete Gesetz zur "umfassenden Garantie der sexuellen Freiheit" – oder auch einfach "Solo sí es sí" (nur ja bedeutet ja) – vorgenommen. Heute tritt es nun als Ergebnis jahrelanger feministischer Bemühungen und rechten Gegenstimmen zum Trotz in Kraft. Es regelt nicht nur den Rahmen neu, in dem sexualisierte Gewalt bestraft werden kann, sondern soll Betroffene wesentlich stärker unterstützen. Die Prävention sexualisierter Gewalt erhält besonderes Augenmerk.

Der letzte Tropfen, der das Fass zum überlaufen gebracht und für die meisten Menschen die Novellierung der Gesetzgebung zu sexualisierter Gewalt dringend notwendig gemacht hatte war der Fall einer jungen Frau, die im Jahr 2016 von einer Gruppe Männer vergewaltigt worden war. Im Rahmen der San-Fermin-Feierlichkeiten im nordspanischen Pamplona hatte eine damals 18-Jährige eine Gruppe von fünf Männern kennengelernt, die sich in einer gemeinsamen Chatgruppe im Messengerdienst WhatsApp "La Manada" (Das Rudel) nannte. Als sie zu ihrem Auto gehen wollte, wurde sie von den Männern in einen Hausflur gedrängt, wo einige Männer filmten, während andere sie vergewaltigten und ihr Handy stahlen. Da die junge Frau sich in den von den Filmenden verbreiteten Videos nicht heftig wehrte, wurden die Männer nur wegen Missbrauchs und des Handy-Diebstahls zu milden Strafen verurteilt. Urteile, die Empörung hervorriefen und Zehntausende zu Protesten auf die Straßen trieben. Die nächste Instanz erhöhte dann die Strafen deutlich, weil sie es als bewiesen ansah, dass die Frau eingeschüchtert war und sich in ihrer Angst nicht wehren konnte.

Dies floss auch in die neue Gesetzgebung ein. In Zukunft muss ein Opfer sexualisierter Gewalt zum Beispiel nicht mehr nachweisen, sich heftig gewehrt zu haben. Angriffe, die früher als Missbrauch verurteilt wurden, gelten heute als sexualisierte Gewalt. Das umfasst zum Beispiel auch Situationen, in denen die betroffene Person unter Drogen steht und sich daher nicht mehr artikulieren kann. Als sexualisierte Gewalt gilt zudem auch die weibliche Genitalverstümmelung, Zwangsverheiratung und der Menschenhandel zum Zwecke sexueller Ausbeutung.

Hauptaugenmerk: Prävention von Gewalt

Ein Hauptaugenmerk liegt auf der Prävention von Gewalt. So sollen patriarchale Gesellschaftsstrukturen, die Gewalt begünstigen, aufgebrochen werden. Dazu soll unter anderem Werbung für Prostitution und solche, die als rassistisch, homophob oder diskriminierend eingeschätzt wird, abgeschafft werden. Sexualkunde soll es in allen Ausbildungsstufen und besonders auch in der universitären Bildung für medizinische und juristische Bereiche geben. Im beruflichen Umfeld soll das Hinschauen und Verhindern gelernt werden. Wer sich sexualisierter Gewalt schuldig gemacht hat, soll ebenfalls Sexualkundeunterricht erhalten. Hinzu kommt der Einsatz gegen den Erhalt von Geschlechtsstereotypen, wie sie schon Kindern beigebracht werden. Diesbezüglich hat Spanien bereits bei der Bewerbung von Spielwaren für Kinder und Jugendliche eingegriffen. Spezielle Kampagnen, die sich an Männer, männliche Jugendliche und Jungen richten, sollen auf dem Geschlecht beruhende Vorurteile und Stereotypen bewusst machen und diesen entgegentreten, um Gewalt und sexuelle Ausbeutung zu verhindern. Weitere Kampagnen für Frauen und Kinder sollen helfen, Gewaltzyklen zu erkennen, um die eigenen Rechte zu wissen und Handlungsweisen zu erlernen, der Gewalt zu entgehen.

Die Bildung, vor allem in dem Erkennen sexualisierter Gewalt und dem Umgang mit Betroffenen, soll dabei nicht auf Privatpersonen beschränkt bleiben, sondern auch medizinische Einrichtungen und Behörden inklusive der Polizei umfassen. Dabei gilt ein Diskriminierungsverbot. Öffentliche Einrichtungen sollen gewährleisten, dass die in dem Gesetz vorgesehenen Maßnahmen ohne Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, ethnischer Herkunft, Nationalität, Religion oder Weltanschauung, Gesundheit, Alter, sozialer Schicht, sexueller Orientierung, sexueller Identität, Behinderung, Familienstand, Migration oder anderer persönlicher oder sozialer Bedingungen beziehungsweise Umstände durchgeführt werden.

Die Hilfe für Betroffene soll schnell, transparent und sinnvoll sein. Unterstützung und Begleitung sollen rund um die Uhr gegeben sein. Zur Eröffnung von 50 spezialisierten Einrichtungen stellt Spanien 66 Millionen Euro zur Verfügung. Finanziell schwache oder behinderte Betroffene sollen ausgleichende Unterstützung erhalten. Juristische Unterstützung soll kostenlos gewährt und Übersetzung in Gebärden- oder Fremdsprachen geboten werden. Neben einer Garantie der Nichtwiederholung soll ein Fokus auf umfassende Wiedergutmachung, etwa zur Genesung und wirtschaftlichen Stärkung, gesetzt werden. Dazu gehört auch der Zugang zu Wohnraum, Arbeit und finanzieller Hilfe. Dabei sollen nicht nur physische Schäden berücksichtigt werden, sondern auch psychische und jene an Moral und Würde, die Folgen haben können wie verpasste Chancen bei der Ausbildung oder Anstellung, materielle Schäden wie Einkommensverluste, therapeutische Behandlungen sowie Auswirkungen auf die Lebensplanung und die sexuelle und reproduktive Gesundheit.

Hinzu kommt eine institutionelle Pflicht, sexualisierte Gewalt zu erkennen. Das Gesetz sieht vor, dass die zuständigen öffentlichen Verwaltungen in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Soziales im Rahmen ihrer jeweiligen Befugnisse Maßnahmen zur Identifizierung von Situationen sexueller Gewalt entwickeln. Zu diesem Zweck sollen sie die Entwicklung spezifischer Protokolle für das Ergreifen von Maßnahmen in den Bereichen Bildung, Soziales und Gesundheit fördern. Dabei haben sie besonderes Augenmerk auf minderjährige Opfer und Menschen mit Behinderungen zu legen. Des Weiteren sollen Daten zur Häufigkeit, zu den Gründen und zu den Auswirkungen sexualisierter Gewalt gesammelt und ausgewertet werden, um die Gesetzgebung gegebenenfalls anzupassen oder zu erweitern. Auch sollen Kräfte gebündelt und die Zusammenarbeit und Beteiligung von Körperschaften, Verbänden und Organisationen gefördert werden, die sich in der feministischen Bewegung und der Zivilgesellschaft gegen sexuelle Gewalt einsetzen.

Haftstrafen von einem bis zwölf Jahren

Die neue Gesetzgebung sieht für sexuelle Aggressionen, die sich ohne Konsens gegen die sexuelle Freiheit einer Person richten, nun Haftstrafen von einem Jahr bis vier Jahren vor. Konsens besteht nur dann, wenn im Rahmen der Umstände klar zustimmend gehandelt wurde. Umfasst die Aggression das Einführen von Körperteilen oder Gegenständen in Mund, Vagina oder Anus, kann die Haftstrafe vier bis zwölf Jahre umfassen. Höhere Haftstrafen sind unter anderem auch vorgesehen für die Handlungen von zwei oder mehr Personen am Opfer, wenn extrem schwere Gewalt oder besondere Demütigungen erfolgen, das Opfer wegen des Alters, einer Krankheit, Behinderung oder anderen Gegebenheiten als besonders verletzlich gilt, eine Waffe verwendet wird, eine Machtposition besteht oder mit dem Opfer eine Beziehung – zum Beispiel eine Ehe – geführt wird.

Ähnlich wie bei den Gesetzesänderungen zum Verbot von Belästigung vor Abtreibungskliniken oder der Möglichkeit der Krankschreibung bei starken Menstruationsbeschwerden haben sich auch bei diesem Gesetz laute Gegenstimmen zu Wort gemeldet. Die rechte Partei VOX sieht durch die neue Gesetzeslage nun Männer unter Generalverdacht rachsüchtiger Frauen. Warum Rachsucht nur Männer treffen sollte, erklärte VOX nicht. Kritik oder zumindest Zweifel an der möglichen Umsetzung meldeten jedoch auch konservative Politiker*innen und Richter*innen an, die Schwierigkeiten bei der Beurteilung von Aussagen und Beweisen kommen sehen.

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