Kreationistischer Hokuspokus

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Coverbild U.Kutschera, Evolutionsbiologie, 2008

ASCHAFFENBURG. (hpd) In Großbritannien wurden kürzlich die Richtlinien für die Finanzierung freier Schulen geändert. Jedoch gibt es auch in Deutschland rund 90 staatlich unterstützte „evangelische“ Schulen, in denen das biblische Dogma einer göttlichen Erschaffung aller Lebewesen gelehrt wird. Der hpd befragte den Evolutionsbiologen Prof. Ulrich Kutschera zu den Hintergründen dieser religiösen Indoktrination.

 

hpd: In Großbritannien wird nach den neuen Vorgaben in Zukunft erwartet, dass im Biologie-Unterricht die wesentlichen Aussagen der Evolutionsbiologie gelehrt werden müssen, während kreationistische Thesen, basierend auf geglaubten biblischen Schöpfungsakten, untersagt sind. Herr Prof. Kutschera, wie bewerten Sie die neuen Richtlinien der britischen Regierung?

U. Kutschera: Es ist erfreulich, dass unter den Bewohnern des Inselstaates, wo auf der "falschen Seite" Auto gefahren wird und der Euro noch immer verbannt ist, das logisch-rationale Denken gesiegt hat: Britische Humanisten konnten Entscheidungsträger aus der Politik davon überzeugen, dass geglaubte Schöpfungsakte eines biblischen Gottes, der auch als "intelligenter Designer" bezeichnet wird, im naturwissenschaftlichen Schulunterricht nichts verloren haben. Britischen Privatschulen, die weiterhin diese Phantasiekonstrukte religiöser Menschen als wissenschaftliche Theorien darbieten, soll die Finanzierung entzogen werden.

hpd: Warum wird in Deutschland noch immer nach dem Grundsatz, religiöser Glaube sei so wichtig wie wissenschaftliche Erkenntnis, verfahren?

U. Kutschera: In unserem Land haben die christlichen Kirchen noch immer zu viel Macht und üben Einfluss auf die Politik aus. Der „Verband Evangelischer Bekenntnisschulen“ wird, wie im eingangs angesprochenen hpd-Bericht dargelegt, von zahlreichen Sponsoren unterstützt und hat Kooperationspartner, wie z. B. die Berliner Bank, von der man eigentlich eine weltanschaulich neutrale Position erwarten sollte. Weiterhin spielt in Deutschland die Biologie als Lehrfach an Schulen noch immer eine zu geringe Rolle. Man hört immer wieder von sogenannten „Prominenten“, die öffentlich bekennen, sie hätten von Physik, Chemie und Biologie keine Ahnung – und das ist ihnen nicht einmal peinlich. Daher wird das Problem einer schleichenden Unterwanderung des „evangelischen Biologie-Unterrichts“ mit kreationistischen Wundergeschichten nicht als Problem erkannt.

hpd: Sie haben sich in der Vergangenheit sehr abfällig über schöpfungstheoretische Thesen geäußert und z. B. von einem "kreationistischen Hokuspokus" gesprochen. Wo liegt Ihrer Ansicht nach das tiefer liegende Problem?

U. Kutschera: Wie in einem hpd-Interview vom 24. November 2011 dargelegt, sind die deutschen Kreationisten u. a. über die sogenannte „Studiengemeinschaft Wort und Wissen (SG W+W)“ bestens organisiert und werden über Spenden so gut finanziert, dass sie seit 25 Jahren über eine geschickt konzipierte Propaganda-Aktion eine stabile wachsende Fangemeinde gefunden haben. Unsere deutschen W+W-Kreationisten glauben an eine junge, vor ca. 10.000 Jahren entstandene Erde und an die Schöpfungsakte des biblischen Gottes, der nach dem „Adam und Eva-Mythos“ sogenannte „Grundtypen“ erschaffen haben soll. Diese pseudowissenschaftliche „Theo-Biologie“ wird über ein von Reinhard Junker und Siegfried Scherer verfasstes „Evolutionskritisches Lehrbuch“ so überzeugend als „Wissenschaft“ dargeboten, dass Leser ohne evolutionsbiologisches Fachwissen in die Irre geführt werden. Bei Reinhard Junker handelt es sich um einen Theologen, der Mathematik und Biologie studiert hat, bei Siegfried Scherer gar um einen Professor für Mikrobielle Ökologie, der geschäftsführender Direktor des Zentralinstituts für Lebensmittel- und Ernährungsforschung in München ist.

hpd: Warum distanzieren sich die Amtskirchen nicht eindeutig von den Evangelischen Bekenntnisschulen in Deutschland?

U. Kutschera: Einige unserer akademisch gebildeten Intelligent Design (ID)-Kreationisten sind u.a. an Universitäten beschäftigt; sie können somit unter dem Deckmantel der Wissenschaft missionieren. So verbreitet z. B. der Junge-Erde-Mikrobiologe Siegfried Scherer noch immer seine christlich-fundamentalistische Theo-Biologie über die Internetseite der TU München, wodurch Seriosität vorgetäuscht wird. Wie soll sich da eine Person ohne biologische Fachausbildung zurechtfinden? Sogar der amtierende Papst hat 1999 unter seinem legalen Namen Joseph Ratzinger in einer Rede, die heute noch im Internet nachlesbar ist, die kreationistischen Thesen von Junker und Scherer hochachtungsvoll zitiert und somit im Kreise seiner gläubigen Schäfchen verbreitet. Die Distanzierung der katholischen Kirche vom christlichen Fundamentalismus (Kreationismus) ist somit nicht überzeugend, ebenso wenig wie jene der evangelischen Kirche von Deutschland (EKD), die letztendlich die Christlichen Bekenntnisschulen durch Gewährung ihres solide klingendes Beiwortes „evangelisch“ unterstützt.
 

hpd: Die Evangelischen Bekenntnisschulen haben sich kürzlich gegen kritische Stellungnahmen verwahrt. Wie bewerten Sie die Thesen des christlichen Pro-Medienmagazins, in dem ein Artikel der Süddeutschen Zeitung über christliche Bekenntnisschulen als „falsch“ dargestellt wird?

U. Kutschera: Diese Gegendarstellung ist laienhaft und sachlich unzutreffend. Unter der Überschrift „Wenn christliche Schulen Christliches lehren“, lesen wir u. a. die folgenden Sätze: „Dass die Evolutionstheorie ein Faktum ist, wird an den meisten Schulen im Biologie-Unterricht gelehrt. In manchen christlichen Bekenntnisschulen jedoch werden zudem Lücken in der Evolutionstheorie behandelt und dem die Möglichkeit eines Schöpfergottes gegenübergestellt.“

Drei Fehler sind hier anzumerken: 1. wissenschaftliche Theorien sind keine Fakten, sondern sie erklären empirische Tatsachen; 2. eine alle Teilaspekte der biologischen Evolution erklärende Theorie gibt es nicht, und 3. Erklärungslücken im Theoriensystem Evolutionsbiologie werden nicht von Schülern, sondern von forschenden Naturwissenschaftlern, die an Universitäten lehren, in der referierten englischsprachigen Fachliteratur diskutiert. Hierbei bleibt ein geglaubter „Schöpfergott“, dessen wundersame Akte alles, und somit nichts, erklären, unberücksichtigt.
 

hpd: Die SG W+W ist evangelikal, die Bekenntnisschulen tragen aber das Wort evangelisch im Titel. Wo liegt da der Unterschied?

U. Kutschera: Evangelikale Christen sind Fundamentalisten, für die alle Bibel-Aussagen wörtlich zu nehmen sind, während sich evangelische Amtskirchen-Mitglieder in der Regel als „aufgeklärte Gläubige“ darstellen. Der „Verband Evangelischer Bekenntnisschulen“ erklärte, die Schulträger seien parteipolitisch ungebundene, eingetragene, gemeinnützige und überkonfessionelle Vereine. Die Mitglieder dieser Trägervereine seien natürliche Personen und gehörten „in der Regel verschiedenen Evangelischen Landeskirchen, evangelischen Gemeinschaften und evangelischen Freikirchen an“. In diesem Satz kommt das Wort „evangelisch“ gleich drei Mal vor. Eine klare Trennung zwischen „evangelisch“ (= protestantisch) und „evangelikal“ (= christlich-fundamentalistisch) gibt es nicht, d.h. die Zurückweisung des Kreationismus durch die „evangelisch/evangelikale EKD“ ist unglaubwürdig. Wer an „Schöpfungsakte des biblischen Gottes“ glaubt, kommt in Erklärungsnot, wenn es um die Abgrenzung zum Kreationismus geht: Wo hört der im übertragenen Sinne verstandene, „aufgeklärte“ Bibelglaube auf und wo beginnt der christliche Fundamentalismus, bei dem das „Heilige Buch“ wörtlich ausgelegt wird?
 

hpd: Was kann getan werden, um die Evangelischen Bekenntnisschulen von ihrem Irrweg abzubringen?

U. Kutschera: Eine Aktion der deutschen Humanisten, wie in England u.a. unter der Leitung von Richard Dawkins, sollte eingeleitet werden. Es geht bei dieser Debatte nicht nur um die Evolutionsbiologie, die dort als „Glaubenssystem“ dem Bibel-Mythos von den erschaffenen Grundtypen gegenübergestellt wird, sondern um die naturwissenschaftliche Denk- und Arbeitsweise. Diese wird mit der unzulässigen Vermischung von Wissen und Glauben aufgegeben. Die deutschen Kreationisten vermitteln über ihr „evolutionskritisches Schulbuch“ den Kindern ein biblisches Wunder, „Hokuspokus, die Grundtypen sind da!“, welches dann mit dem Faktum der Mikroevolution, die in einem extrem raschen Tempo verlaufen soll, vermengt wird. Das ist eine Volksverdummung bzw. Gehirnwäsche unserer Kinder und Jugendlichen. Mit der Aufklärung wurden die Naturwissenschaften von religiösen Glaubensinhalten befreit. Die Evangelischen Bekenntnisschulen führen den "Wissenschaftsstandort Deutschland" zurück ins vor-Darwin'sche Erkenntnis-Mittelalter – diese Entwicklung sollte von den Humanistenverbänden verhindert werden.
 

Die Fragen stellte Fiona Lorenz

 

Literatur zum Thema Argumente der Kreationisten und deren Widerlegung:
Ulrich Kutschera: Evolutionsbiologie, 3. Auflage. Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart, 2008, 312 Seiten, 202 Abb., gebunden, 39,80 €, ISBN-Nr. 978-3-8001-2851-8.
Das Buch ist auch im denkladen erhältlich.

Videos zum Thema Kreationismus und Intelligentes Design:
YouTube Video Nr. 2: Was ist Kreationismus?
YouTube Video Nr. 3: Was ist Intelligentes Design?