Interview

Die Vielfalt im "christlichen Immobiliensektor" ist schwer zu überblicken

Dass die Kirchen Großgrundbesitzerinnen sind und alles zusammengerechnet über Ländereien in Größe des Saarlandes verfügen sollen, ist weitgehend bekannt. Deutlich weniger Menschen wissen hingegen, dass kirchliche und kirchennahe Rechtsträger über zahlreiche Immobilien verfügen, die sie vermieten. Der Journalist Ralf Hutter hat mit Vielen gesprochen, die dort zur Miete wohnen (oder eben nicht mehr), hat sich Schicksale angehört und das Geschäftsgebaren einiger der zentralen christlichen Wohnungsunternehmen unter die Lupe genommen. In seinen Buch "Der Hausherr gibt es, der Hausherr nimmt es" bietet er den ersten Überblick über den christlichen Immobiliensektor. Der hpd hat mit dem Autor über seine Recherchen gesprochen.

hpd: Sie befassen sich in Ihrem Buch mit christlichen Wohnungsunternehmen. Von welcher Größenordnung sprechen wir denn da?

Ralf Hutter: Das ist schwer zu sagen, denn da gibt es diverse Akteure. Ich spreche, wenn ich es genau nehme, vom "christlichen Immobiliensektor". Im Buchuntertitel ist die Rede vom "christlichen Immobiliengeschäft". Es geht da nämlich auch um Stiftungen. Die sind nicht nur explizit christlich, sondern manchmal auch per Satzung an die Kirche gebunden. Ich nenne das die quasi-kirchliche Immobilienwirtschaft. Diese Akteursvielfalt ist schwer zu überblicken.

Zur Quantifizierung können wir die beiden Verbände heranziehen, in denen sich einige dieser Akteure – vermutlich die bedeutsamsten – organisieren. Im Katholischen Siedlungsdienst sind 45 Unternehmen mit 90.000 Mietwohnungen Mitglied. Im Evangelischen Immobilienverband ist die erwähnte Akteursvielfalt schon sichtbar: Von den 16 institutionellen Mitgliedern sind nur fünf klassische Wohnungsunternehmen, die jeweils wenige Tausend Wohnungen ihr Eigen nennen. Zusätzlich gibt es dann Stiftungen und das eine oder andere Unternehmen eines Kirchenkreises oder einer Einrichtung der Diakonie. Alle zusammen vereinen auf sich laut Verband 40.000 Wohnungen, wobei er selbst anmerkt, dass es weitaus mehr evangelische Immobilienakteure gibt, und dass das alles schwierig zu beziffern sei.

Wem gehören diese Firmen denn?

Wie gesagt, auf der evangelischen Seite ist das eine bunte Mischung. Die beiden größten Firmen gehören dort den Landeskirchen Bayern beziehungsweise Berlin-Brandenburg. Bei den katholischen Firmen ist es einfacher: Wenn nicht alle, dann fast alle Bistümer haben ein Wohnungsunternehmen, oft Siedlungswerk genannt. In Eigentumsstrukturen habe ich mich aber darüber hinaus nicht vertieft, weil das nicht mein Thema war. Mir geht es nicht um einen systematischen Überblick über diesen Sektor, sondern um das Berichten von Konflikten mit solchen Akteuren.

Haben diese unterschiedlichen Akteure trotzdem so etwas wie ein einheitliches Selbstverständnis?

Naja, theoretisch schon. Offiziell geht es um soziale Wohnraumvermietung, beziehungsweise Bereitstellung von Wohnraum für benachteiligte Bevölkerungsgruppen. Anscheinend schütten die meisten der größeren Firmen auch keine Gewinne aus. Zum einheitlichen Selbstverständnis gehört aber bei ihnen auch, dass eine GmbH Gewinne erwirtschaften muss. Das ist eine wichtige Erkenntnis meiner Recherchen: Die meisten Firmen schütten keine Gewinne aus, machen aber welche und sparen die an, wodurch sie ihren Wert und damit den Reichtum der kirchlichen Eigentümer erhöhen.

Wie sind Sie auf das Thema gestoßen?

Ich bin weder Kirchen- noch Immobilienexperte, sondern vom Thema Wohnungsmarkt kommend darauf gestoßen. Ich habe als Freier Journalist immer wieder über solche Themen berichtet – als langjähriger Berliner Innenstadtbewohner habe ich leider viele schlimme Dinge mitbekommen. In Berlin sind seit langem immer wieder diverse Firmen und Einzelpersonen in der Kritik, aber 2018 gab es etwas Neues: Da ging es zum ersten Mal um ein Wohnungsunternehmen der katholischen Kirche, und zwar um das größte, die Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft (ASW). Ich berichtete darüber und stellte fest, dass es noch weit mehr Kritik an ihr in einer Kölner Großsiedlung gab. Darüber berichtete ich dann ebenfalls, wieder für den Deutschlandfunk, und daraufhin meldeten sich Leute beim Sender oder direkt mir, die sich über im weiteren Sinn kirchliche Akteure beklagten. Ich stellte fest, dass noch nie jemand größer zu diesem Bereich recherchiert hatte, und weil ich mein Material in meinen Berichten nie komplett veröffentlichen konnte, beschloss ich, ein Buch daraus zu machen. Selbst noch während der Buchrecherchen erfuhr ich dann von immer weiteren Konflikten.

Cover

Sie sammeln in Ihrem Buch ganz unterschiedliche Fälle, wobei auffällt, dass Berlin und das Rheinland deutlich überrepräsentiert sind. Hat das sachliche Gründe oder liegt das an Ihrer Vorgehensweise?

Das liegt an beidem. Das Rheinland ist das Stammgebiet der erwähnten Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft. Die hat besonders viel Dreck am Stecken und macht rund 40 Prozent meines Buches aus. Sie schüttet übrigens auch Gewinne an ihre Bistümer aus – und diese Gewinne sind seit 2012 kontinuierlich angestiegen, das ist eines meiner wichtigsten Recherche-Ergebnisse. In Berlin geht es hingegen um evangelische Akteure, hier ist die katholische Kirche ja auch sehr klein, während das Wohnungsunternehmen der evangelischen Landeskirche groß ist. Eine Rolle spielt aber auch, dass ich in Berlin zu den Orten des Geschehens gehen und Reportagen anfertigen konnte.

Das heißt dann im Umkehrschluss, dass in den nicht vertretenen Regionen noch viel zu entdecken sein könnte...

Ja, und das schreibe ich auch in der Einleitung des Buches: Mit meinem unsystematischen Vorgehen habe ich in diversen Bereichen, bis hin zu Pflegeheimen der Diakonie, Missstände entdeckt. Ich gehe deshalb davon aus, dass vielerorts weitere solche Missstände bestehen, und bitte um Hinweise aus der Bevölkerung.

Welches sind denn die häufigsten Konflikte zwischen den Mietparteien und der Wohnungsfirma?

In meinem Buch sind sowohl die immobilienwirtschaftlichen Akteure als auch die Konflikte ganz unterschiedlich gelagert. Es handelt sich um einen ersten Einblick in ein etwas diffuses Feld. Ich würde zwei Dinge dazu sagen. Erstens kommen die ganz normalen schlimmen Dinge des heutigen Wohnungsmarkts vor, die mit Bestrebungen zur Aufwertung von Häusern und Profitstreben einhergehen: schlechter Service, Gleichgültigkeit gegenüber den Sorgen der Mieterschaft, Mieterhöhungen, Bau teurer Wohnungen. Zweitens geht es bei der Aachener mit ihren großen Siedlungen in mehreren Fällen um ein Thema, das uns wahrscheinlich noch vielerorts um die Ohren fliegen wird: energetische Modernisierungen. Das ist ein riesiges Thema für die gesamte Wohnungswirtschaft, weil sie da mit dem Argument Klimaschutz die Mieten und den Wert ihrer Häuser erhöhen kann. Gerade kirchliche Firmen sind mit diesem Argument besonders leicht zur Hand, weil sie da wieder von gesellschaftlicher Verantwortung sprechen können. Die Bundesregierung tut nichts gegen Verdrängung durch Mietsteigerungen nach energetischen Modernisierungen, das habe ich erst kürzlich in einer anderen Recherche festgestellt, bei der ich zwei Ministerien angefragt habe.

Gab es einen Fall, der Ihnen menschlich besonders nahe ging?

Ein ganzes Unterkapitel habe ich dem Fall einer Kölner Mieterin der ASW gewidmet, die jahrelang gegen immer wieder in mehreren Räumen auftretenden Schimmel und die Gleichgültigkeit der ASW kämpfte. Da gibt es etliche Fotos von langen mehrfarbigen Schimmelstreifen an den Wänden, auch von der städtischen Wohnungsaufsicht. Am stärksten betroffen war das Kinderzimmer, und irgendwann hat die Mutter nach eigener Aussage das Kind bei den Großeltern untergebracht. Zum jahrelangen Stress mit der ASW – juristische Kämpfe inklusive – kam also die Peinlichkeit dazu, einem bald in die Pubertät kommenden Kind zu erklären, dass es kein Zimmer mehr hat und bei seinen Großeltern leben muss.

Ich komme nochmal auf das vorhin skizzierte Selbstbild zurück: Danach würde ich erwarten, dass die christlichen Wohnungsunternehmen vor allem im Sozialen Wohnungsbau aktiv sind. Ist das so?

Das würde ich so nicht bejahen. Bekanntlich werden seit langem immer weniger Sozialwohnungen gebaut, und es würde mich wundern, wenn die kirchlichen Firmen da dem großen Trend entgegenstünden. Da geht es ja auch um die Wirtschaftlichkeit, und an der richten sich diese Firmen ebenfalls aus. Mir fehlen Vergleichszahlen der gesamten Wohnungswirtschaft, aber die kirchlichen Firmen betonen gerne, wie hoch der Prozentsatz der Sozialwohnungen in ihrem Bestand ist. Ich bin geneigt, ihnen zu glauben, dass das vergleichsweise hohe Anteile sind, weiß aber auch, dass es sich da bisweilen nur um ehemalige Sozialwohnungen handelt. Zumindest in Berlin ist seit langem bekannt, dass Sozialwohnungen, bei denen die staatliche Subvention ausgelaufen ist, teurer zu mieten sind als der allgemeine Marktdurchschnitt.

Bei dieser Frage muss zudem beachtet werden, dass zumindest die katholischen Firmen ganz offen ein spezifisches Verständnis von Sozialem Wohnungsbau vertreten: nämlich Wohneigentum zu schaffen, besonders für Familien. Die ASW schreibt selbst, dass sie seit ihrer Gründung 1949 an der Errichtung von über 80.000 Wohnungen zumindest beteiligt war, und dass davon 80 Prozent als Wohneigentum verkauft wurden.

Unterm Strich: Unterscheiden sich christliche Wohnungsunternehmen von profitorientierten?

Wenn sie denn nicht profitorientiert sind, dann bestimmt. Wie gesagt, meistens sind sie GmbHs und den damit verbundenen Zwängen unterworfen. Keine Gewinne auszuschütten bedeutet nicht, keine Gewinne zu machen.

Unterschiede gibt es aber schon, und die sind vielleicht vor allem darin begründet, was heutzutage auf den Wohnungsmärkten normal ist. Kirchliche Firmen können schon mit ihren wenigen sozialen Projekten positiv auffallen; oder wenn sie mal nicht alle Möglichkeiten zur Mieterhöhung ausnutzen. Zum Beispiel habe ich festgestellt, dass die ASW in der Kölner Stegerwaldsiedlung, dem lange Jahre einzigen Milieuschutzgebiet der Stadt, zwar erhebliche Mieterhöhungen nach den energetischen Sanierungen verlangt hat, dass die Stadtverwaltung ihr aber eine noch größere Erhöhung erlaubt hatte, was ein Skandal ist, den ich nebenbei aufgedeckt habe.

Ein weiterer wichtiger Unterschied: Im Gegensatz zu vielen anderen Wohnungsunternehmen haben die kirchlichen entweder nur wenige Eigentümer, nämlich Bischöfe, oder sie gehören Institutionen, die eine wie auch immer geartete demokratische Kopplung an die Kirchenbasis aufweisen. Die Verantwortlichen sind also erkennbar und tendenziell nicht weit entfernt, also greifbar – und wahrscheinlich beeinflussbarer als bei vielen anderen Immobilienfirmen.

Die Fragen stellte Martin Bauer für den hpd.

Ralf Hutter: Der Hausherr gibt es, der Hausherr nimmt es. Profitgier und Verdrängung im christlichen Immobiliengeschäft. Alibri Verlag, Aschaffenburg 2023. 220 Seiten, 18 Euro. ISBN 978-3-86569-389-1

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