BONN. (hpd) Der taz-Redakteur Daniel Bax legt mit seinem Buch "Angst ums Abendland. Warum wir uns nicht vor Muslimen, sondern vor den Islamfeinden fürchten sollten" eine journalistische Gesamtdarstellung zu den unterschiedlichsten Akteuren islam- und muslimenfeindlichen Wirkens vor. Dabei handelt es sich um eine informative Darstellung und Einschätzung zum Thema, die aber im Bemühen um Aufklärung gegen Ressentiments manche bedenkliche Entwicklungen und Gegebenheiten eher ausblendet.
Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 lässt sich auch in Deutschland eine ansteigende Abneigung gegen den Islam und die Muslime in bestimmten gesellschaftlichen Teilbereichen konstatieren. Der letzte Ausdruck damit einhergehender Stimmungen waren die Zehntausende von Teilnehmern bei Demonstrationen gegen eine behauptete "Islamisierung des Abendlands" und die Erfolge einer neuen Partei mit einschlägigen Positionen bei Wahlen. Doch sind Islam- und Muslimenfeindlichkeit nicht nur in diesen Kontexten auszumachen, worauf der Journalist Daniel Bax in seinem Buch "Angst ums Abendland. Warum wir uns nicht vor Muslimen, sondern vor den Islamfeinden fürchten sollten" hinweist. Der taz-Redakteur sieht darin in seinen eigenen Worten mit Sorge, wie es den Anhängern solcher Feindbilder "gelingt, das Misstrauen gegen die Mehrheit der Muslime zu schüren, wie rechtspopulistische Parteien davon profitieren und das Klima vergiften, wie die Rechte einer religiösen Minderheit beschnitten werden und wie auch dieser Hass in Gewalt umschlagen kann" (S. 7).
Sein Buch gliedert sich in drei Teile: Nach einem kurzen Bericht über die Situation im Berliner Stadtteil Neukölln, wo entgegen eines bundesweit kursierenden Zerrbildes "eine vielfältige und engagierte Bürgergesellschaft" (S. 27) existiere, geht es zunächst um "Eine kurze Geschichte der Islamophobie" (S. 35). Dabei wirft Bax einen Blick weit in die Geschichte zurück, sieht er doch etwa in den Ausfällen Luthers gegen den Islam eine der "Wurzeln der Islamfeindlichkeit" (S. 47). Derartige geistige Traditionen reichten über die auch von Aufklärern wie Voltaire vertretenen Ressentiments bis in die Gegenwart. "Ein neues Feindbild nimmt Form an" (S.67), so der Autor, mit Samuel Huntingtons Rede von einem "Kampf der Kulturen". Ausführlich geht es auch um die einschlägige Agitation rechtspopulistischer Parteien, die damit etwa in Frankreich oder den Niederlanden hohe Wahlerfolge verbuchen konnten. Bax kritisiert in diesem Kontext ebenso das öffentliche Agieren von “Kronzeugen” (S.120), also Ex-Muslimen, die sich negativ zum Islam äußern.
Im zweiten Teil "Klischees und Konflikte" (S. 135) werden kursierende Auffassungen einer kritischen Betrachtung unterzogen, wie etwa Aussagen, wonach der Koran zu Gewalt aufrufe, der Islam eine Reformation brauche oder das Kopftuch für Unterdrückung stehe. Besonders interessant sind hier die Ausführungen zum "Aufstieg der falschen Antifaschisten" (S. 195). Dabei nehmen die Gemeinten eine Gleichsetzung von Faschismus und Islam vor, um sich so im Gewand von Aufklärung und Demokratie gegen den Glauben und die Religionsfreiheit von Muslimen zu wenden. Im dritten und letzten Teil "Wie geht der Kulturkampf weiter" (S. 207) kritisiert Bax die Auffassungen von Atheisten, die ihm hier aufgrund ihrer fehlenden Einwände gegen das Christentum und die Kirchen als "halbherzige Jakobiner" (S. 209) gelten. Der Autor problematisiert auch ausführlich die Einstellung der Kirchen und die "Verantwortung der Medien" (S. 229). Im letztgenannten Kontext wird etwa an bedenkliche Formulierungen von Titeln auch seriöser Medien wie dem "Spiegel" erinnert.
In der Gesamtschau legt der Autor eine informative Darstellung und Einschätzung der Islam- und Muslimenfeindlichkeit in gut lesbarer und strukturierter Form vor. Dadurch kann er gut belegen, dass Gefahren für eine moderne Demokratie und offene Gesellschaft von den Anhängern dieser Feindbilder ausgehen. Die journalistische Perspektive erlaubt hier Einseitigkeiten, die aus einer wissenschaftlichen Sicht problematisch sind. Denn durch sein Ansinnen, vor den bedenklichen Folgen eines Islamhass zu warnen, blendet das Buch doch allzu häufig bedenkliche Entwicklungen und Gegebenheiten in der muslimischen Community aus. Deren Kritik kann auch aufklärerisch-menschenrechtlich und muss nicht fremdenfeindlich-hetzerisch motiviert sein. Mitunter wirft Bax auch Akteure der unterschiedlichsten Richtungen in einen Topf. Gerade da, wo er den Laizisten etwa “Halbherzigkeit” vorwirft, stimmt die Kritik angesichts deren jahrzehntelanger Kritik an der fehlenden Konsequenz einer Trennung von Religion und Staat nicht.
Daniel Bax, Angst ums Abendland. Warum wir uns nicht vor Muslimen, sondern vor den Islamfeinden fürchten sollten, Frankfurt/M. 2015 (Westend-Verlag), 288 S.
35 Kommentare
Kommentare
Jann Wübbenhorst am Permanenter Link
Dass politisch links stehende Journalisten wie Bax sich gegen die muslimfeindlichen Ressentiments in der Gesellschaft wenden, die gerade aktuell wieder überall sichtbar werden (z.B.wenn man es sich antun mag, im Inter
Ärgerlich ist allerdings die häufig einer ideologischen Selbstgerechtigkeit entspringende Ignoranz gegenüber den Problemen traditioneller Islamauslegungen und die "konsequente" und undifferenzierte Verteufelung aller Gegenstimmen. Geradezu böswillig und perfide, zumindest aber vollkommen ignorant erscheint es mir, jemandem wie Hamed Abdel-Samad (der inzwischen von einer dreifachen Todes-Fatwa bedroht ist, nur weil er sein Recht auf freie Meinungsäuerung wahrnimmt) vorzuwerfen, er wende sich "im Gewand von Aufklärung und Demokratie gegen den Glauben und die Religionsfreiheit von Muslimen".
Für mich ist das mehr als eine "Einseitigkeit", die "aus journalistischer Perspektive erlaubt, aus einer wissenschaftlichen Sicht [aber] problematisch" ist.
Es ist ein Mangel an intellektueller Redlichkeit, der offenbar einem festgefügten Weltbild und der Überzeugung, dass nun einmal nicht sein kann, was nach dem lange eingeübten Dafürhalten nicht sein darf, geschuldet ist.
David am Permanenter Link
Ich kann diesen Eindruck nur unterstreichen. Die ideologisierte Borniertheit von Daniel Bax ist mir zum ersten Mal im Zusammenhang mit der Beschneidungsdebatte aufgefallen.
Sorry, solange Bax sich nicht aus der Umklammerung seiner Ideologie befreit, kann man diese Person nicht ernst nehmen.
Wer sich ernsthaft mit dem Thema auseinandersetzen möchte, empfehle ich "Angst vor Allah" von Tilma Nagel, einer der führenden Islamwissenschftler unseres Landes mit u.v.a. sehr interessanten Insider Infos hinsichtlich dessen, was sich theologisch-politisch hinter den Kulissen der Islamkonferenz abspielt.
Markus Schiele am Permanenter Link
Ich habe das Buch zwar nicht gelesen und ich möchte dem Autoren ja durchaus hehre Abischten unterstellen, aber mir scheint hier mal wieder eine mangelnde Differenzierung zwischen "islamfeindlich" und "m
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Das ist ein schwieriges Thema.
Zum einen gibt es unbestreitbar unbegründete Ressentiments gegen Muslime, zum anderen gibt es aber genauso begründete Ressentiments gegen des Islam.
Dies macht eine Beurteilung (gerade für den "Normalbürger") so schwer. Ist der "besorgte Bürger" gegen die Religion "Islam", gegen die Kultur "Orient" oder gegen den Menschen "Moslem"? Letzteres ist am einfachsten zu erklären, weil sich dahinter oft nichts als Neid und Eifersucht, Angst um die eigene Existenz, also Konkurrenzdenken verbirgt.
Die reale Kultur des Orients entspricht in ihrer gelebten Form nicht den "Hollywood-Klischees" und irritiert "westliche" Menschen. Dies hängt sicher z.T. damit zusammen, dass sie sehr eng mit der Religion "Islam" verknüpft ist, was ich aus vielen eigenen Erfahrung bestätigen kann. Das führt - neben all der ehrlichen Herzlichkeit, die ich in orientalischen Kreisen erfahren durfte - auch zu einer Beklemmung, die ungesund ist. Diese Beklemmung ist Produkt klarer Grenzziehungen in orientalischen Gesellschaften, die im liberalen Westen nicht mehr gelebt werden.
So sind Diskussionen über Religion praktisch ausgeschlossen und tabu. Allerdings schätze ich es, historisch-kritisch an religiöse Themen zu gehen und alles zu hinterfragen. Doch das ist in der islamischen Welt ein Tabu, dass selbst bei sehr guten Bekannten nicht ausgereizt werden sollte.
Daher habe ich schnell gelernt, meinen Mund zu halten und zu lächeln, was aber nicht meiner Art von Leben entspricht. Denn eines ist doch auch gewiss: Der Islam ist zusammen mit allen monotheistischen Religionen höchst fragwürdig und müsste sich einer breit aufgestellten Debatte stellen. Da seit Jahrhunderten dieser Diskurs immer wieder verhindert oder abgebrochen wurde - und da, wo er zu einer liberalen Form der Religion geführt hat, wieder rückgängig gemacht wird (Salafia, Wahabismus) - ist genau das beabsichtigte Klima entstanden: Niemand traut sich aus EINSCHÜCHTERUNG etwas Kritisches zum Islam zu äußern.
Man kann den Inhalt des Korans fast beiseite lassen, um die WIRKUNG dieses Buches zu sehen. Dessen Anhänger haben den einstigen geistigen Höhenflug der arabischen Welt gestoppt und verharren in einer Zeit, in der sich der Islam sicher fortschrittlich zeigte. Doch das Rad der Geschichte hat sich weitergedreht. Heute versinkt die arabisch-muslimische Welt im Staub der Wüste und wenn das letzte Öl gefördert ist, wird auch der Reichtum der sehr dünnen Oberschicht enden und eine ganze Region wird der Bedeutungslosigkeit anheimfallen. Dass diese Erstarrung in einem mittelalterlich-beduinischen Lebensstil auch noch vehement mittels Todes- oder Gewaltandrohungen verteidigt wird, macht es für Außenstehende praktisch unmöglich, hier helfend einzugreifen.
Denn ja: Kritik am Islam kann auch Hilfe sein, wenn sie ohne ideologische Dogmen vorgebracht wird. Dabei geht es gar nicht zentral um die "klassischen" Fragen, ob Allah nun existiert oder ob sein Prophet wirklich Besuch von einem Engel bekam.
Aus meiner Sicht geht es um die Starrheit des Systems "Islam": Frauen MÜSSEN Kopftücher tragen, Jungs MÜSSEN beschnitten werden, Männer und Frauen MÜSSEN getrennt werden, jeder MUSS dies oder das und DARF NICHT dies oder das. Dies hemmt das Erlernen von Eigenverantwortlichkeit, die aber zwingende Voraussetzung ist, um in einer Demokratie leben zu WOLLEN.
Ein Staat, der einem Menschen mehr Freiheiten gibt, als dieser selbst aufgrund kulturell-religiöser Zwänge ausleben oder nutzen darf, wird nie dessen 100%ige Begeisterung finden. Darum haben wir selbst in liberalen muslimischen Familien diesen ständigen Kampf gegen unsere Freiheiten: sexuelle Aufklärung, Männer und Frauen sind gleichberechtigt, keine Gewaltanwendung aus pädagogischen Gründen, Homosexuelle sind nicht abartig, Wissenschaft schadet nicht, in der Demokratie gestalten Politiker die Gesetze, sexuelle Selbstbestimmung, freie Partnerwahl, freie Kleidungswahl, freie Speisen- und Getränkewahl etc.
Das ist schwer auszuhalten, da vieles nur mit Mühe, anderes völlig unvereinbar ist mit einem "rechtgläubigen" Leben. Das sind Alltagsprobleme, denen sich Muslime ausgesetzt sehen. Im Grunde leiden sie also an erster Stelle unter ihrer Religion - zumindest, wenn sie in einer Demokratie leben.
In muslimischen Ländern - der Mensch ist ein Gewohnheitstier - fügt man sich dem Schicksal leichter. Und damit das so bleibt werden dort Medien und Internetnutzung stark reglementiert, siehe den Kampf gegen Blogger oder Hamed Abdel-Samad etc.
Trotzdem gibt es Biodeutsche, die Muslime als Menschen ablehnen, was ich für dumm und verwerflich halte. Dabei wird am Beispiel Pegida deutlich, dass die Fehler des "eigenen" Monotheismus (dem pikanterweise der Islam entstammt) nicht erkannt werden, weil wir ja in einem "christlichen Abendland" leben. Glücklicherweise tun wir das nicht. Unsere Werte haben völlig andere Wurzeln, die viel zu lange vom Christentum kleingeschnitten wurden, damit daraus nie eine Pflanze werden mag.
Doch der Mensch lässt sich auf Dauer nicht unterdrücken. Er lernt, sich gegen Repressalien durchzusetzen. Deshalb bin ich optimistisch, was den Islam betrifft. Die junge Generation findet Wege, sich die freie Welt auf den Laptop zu holen und arbeitet fleißig an einer Perestroika der arabischen Welt.
Was dann am Ende an spirituellem Rest übrigbleibt, wird man sehen. Aber zumindest muss die neue Basis eine offen, angstfrei geführte Debatte zwischen Orient und Okzident ermöglichen. Erst dann fallen viele der Restriktionen weg, unter denen Muslime leiden. Und dann werden auch die Islamfeinde verstummen, die einfach nur aus rassistischen Gründen oder wegen ihres Sozialneids gegen unsere Mitbürger aus dem Orient eingestellt sind.
Jann Wübbenhorst am Permanenter Link
In der Tat ein schwieriges Thema.
Wenn man im Netz nach Publikationen von Abdel-Samad sucht oder auch nach dem oben erwähnten Buch des renommierten Islamwissenschaftlers Tilman Nagel, wird man (Kunden kauften auch...) gleich an Bücher von konservativ-katholischen Autoren wie Alexander Kissler und Birgit Kelle verwiesen und natürlich an die beliebtesten Vorzeige-Knalltüten der Pegidisten und Aluhut-Träger wie Akif Pirincci und Udo Ulfkotte.
Fundiert recherchierende Journalisten sollten dennoch zwischen diesen beiden "Lagern" unterscheiden können.
Little Louis am Permanenter Link
@jan W.25.9 um 16:47 und B.K.24.9 um15:26
2. Den Optimismus von B.K bezüglich eines "europäischen Islam" teile ich nicht,denn ein solcher ist nirgendwo zu finden. Die Entwicklung der (religiös eher gemäßigten türkischstämmigen Community in den vergangenen Jahrzehnten ging eindeutig vom mehr laizistisch (Attatürk) hin zu mehr Fundamentalismus. Von wem das initiiert wurde ist eher zweitrangig.
3.) Wieweit wir angesichts von "Selbstzensur "schon sind, demonstriert B.K hier selbst (Zitat:...überlege mir ..ob ich überhaupt etwas sage....)
Wie war das damals 1933 kurz vor oder nach der "Machtergreifung"?
Insofern würde ich Ulfkotte hier nicht vorschnell als Spinner abtun, nur um im eigenen Lager nicht als "anrüchig" zugelten. WO (!) er recht hat,hat er recht.
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich verstehe mich politisch(!) als humanistisch- kritischer Linker-manchmal deswegen linker als viele der ängstlisch politisch-korrekten Linken. Der Begriff der "Politischen Korrektheit" ist keine Erfindung "der Rechten", auch wenn es derzeit vielen so erscheinen mag.
David am Permanenter Link
"Den Optimismus von B.K bezüglich eines "europäischen Islam" teile ich nicht"
Das geht mir ähnlich. Es gibt meiner Meinung nach zwei Herangehensweisen an eine Islamreform:
A. Umdeutung
Dies ist das, was als der "moderate" Islam gefeiert und inzwischen auch an unseren Schulen und Hochschulen gelehrt wird. Motto: Das was da steht, steht da nicht! Aus "und dann schlagt sie!" wird "und dann streichelt sie!". Also eine fröhlich-willkürliche Umdeutung, die zwar nett gemeint ist, aber an intellektueller Unredlichkeit kaum zu überbieten ist und alleine schon deshalb kein Mittel gegen Fundamentalismus sein kann.
B. Neuaufstellung der Religion
Verschiedene Elemente der Religion müssten neu bewertet und ggf. über Bord geworfen werden, die entscheidenste ist die Abkehr von der Vorstellung, ein mittelalterlicher Politiker und warlord könne als allumfassendes und perfektes Rollenvorbild gelten. Solange dieser Schritt, der zZt ALLE Formen des Islam betrifft, von orthodox bis moderat, nicht geschafft ist, ist der Fundamentalist im Zweifel immer im Recht.
Problem: Option A ist vergleichsweise einfach, aber sinnlos in der Verhinderung von Fundamentalismus. Option B wäre hier hilfreich, ihr steht aber die Selbstdefinition der Religion Islam im Weg.
Wenn's nicht so traurig wäre, könnte man fast bewundernd sagen: Verdammt geschickt eingefädelt, Mohammed.
Little Louis am Permanenter Link
Bin derselben Meinung. Die Buchreligionen sind nicht mal so sehr wegen ihres Inhaltes abzulehnen, es mögen ja auch einige realhistorische Inhalte inden Texten überlbt haben.
In der Verbindung mit "psychotherapeutischen Verfahren ist das ein ideales Mittel zur Fremdsteuerung bildungsbedingt ratloser oder situationsbedingt "angeschlagener" Individuen.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Ich hege bezüglich eine "Euro-Islam" gar keinen Optimismus.
Was nicht geht - ich hoffe, dass ich dies deutlich genug geschrieben habe - ist a.) das Klima der Bedrohung, falls man Kritisches zur Religion anspricht und b.) die negativen Wirkungen innerhalb der muslimischen Communities. Die (islamisch begründeten) Auswüchse sind Terrorismus, der sowieso mit allen rechtsstaatlichen Mitteln bekämpft werden muss.
Ich als gottlos glücklicher Mensch möchte in einer Welt leben, in der ich mit jedem offen und tolerant über jedes Thema sprechen darf. Ich will dafür werben dürfen, Kinder zur Eigenverantwortlichkeit zu erziehen, ohne mir Sprüche aus "heiligen" Büchern anhören zu müssen. Und für muslimische Kinder wünsche ich mir, dass sie ohne körperliche Verstümmelungen, ohne Indoktrination zu einem lächerlichen Geisterglauben und in weitgehender Selbstbestimmung (wachsend mit dem Alter) erzogen werden.
Falls - FALLS - dann noch ein spiritueller Rest übrig bleibt, ohne den gewisse Menschen nicht glauben leben können (wie auch im Juden- und Christentum), dann darf man und sollte man dies den Menschen nicht nehmen. Wie gesagt: Die Gedanken - selbst dumme (sofern sie anderen nicht schaden) - sind frei!
Little Louis am Permanenter Link
@B.K., 28.9. um 9:19
Ich wünsche mir für ALLE Kinder, "...dass sie ohne körperliche Verstümmelungen, Indoktrination........" . Aber ich glaube, Sie haben das auch so gemeint.
Ob ich "glauben" (und wirklich nur glauben im Sinne von "denken") darf, dass die Menschenrechte bzw "unsere" Grundwerte nichts weiter als verweichlichtes Geschwätz sind, halte ich für eines der schwierigsten Probleme der "Demokratietheorie" "Die Gedanken sind frei" bedeutet halt auch, dass die Gedanken eines Massenmörders frei sind.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
""Die Gedanken sind frei" bedeutet halt auch, dass die Gedanken eines Massenmörders frei sind."
Die Gedanken ja, aber nicht die Taten.
Wie entstehen Gedanken? Kann man sie wirklich kontrollieren? Können wir unsere Träume steuern, unsere Wünsche manipulieren. Nein! Wir sind immer das Produkt unserer Gene, unserer Zeit, unserer Herkunft und unserer Umgebung. Theoretisch ist die Bandbreite unserer menschlichen Entwicklung sehr breit angelegt, doch vorherige Faktoren schränken sie doch arg ein.
Ein weiterer einschränkender Faktor ist die Religion. Und zwar bewusst, weil man schon früh um die Bandbreite menschlicher Neigungen wusste. Heute haben wir zur Regulation flexible evolutionär veränderbare Gesetze. Mangels irdischer Überwachung führte die Religion ein "höheres Wesen" ein, das nun mittels Höllenstrafe (die ihren finsteren Charme wegen ihrer Unbeweisbarkeit entfaltet) die Menschen auf Linie halten sollte.
Da dieses System inflexibel angelegt ist (ansonsten wäre "Gott" nur eine austauschbare Variable), konnte es nicht Schritt halten mit Erkenntnissen in Rechtsphilosophie, Psychologie und Pädagogik. Mindestens aus diesem Grund sind Religionen abzulehnen. Wobei wir heute wissen, dass sich ein Massenmörder weder durch Höllenstrafen noch durch das irdische Strafgesetzbuch abschrecken lässt.
Da sich inzwischen herumgesprochen hat (siehe die "hart aber fair"-Sendung von gestern), dass Religion Menschen auch zum Fanatismus bringen kann - wenn man sie wörtlich versteht, was laut Religion zwingend geboten ist - sollte wenigstens dieser Faktor gesellschaftlich neutralisiert werden, dass wir nicht länger unter den "schlechten Umgangsformen" (häufigste Nebelkerze in der "hart aber fair"-Sendung) der Religiösen leiden...
David am Permanenter Link
"""Die Gedanken sind frei" bedeutet halt auch, dass die Gedanken eines Massenmörders frei sind." Die Gedanken ja, aber nicht die Taten.
Wie entstehen Gedanken? Kann man sie wirklich kontrollieren? Können wir unsere Träume steuern, unsere Wünsche manipulieren. Nein! Wir sind immer das Produkt unserer Gene, unserer Zeit, unserer Herkunft und unserer Umgebung."
Ein sehr spannendes Thema wie ich finde. Ich bin da im Grunde bei Ihnen. Ich denke, dass man Gedanken schon in einer gewissen Weise steuern kann. Und zwar mit "Ideen". Man kann zB Ideen transportieren, die Gedanken Rund ums töten anregen und man kann Ideen transportieren, die das nicht tun und dem ggf. entgegenwirken.
Damit bin ich beim zweiten Punkt:
"Da sich inzwischen herumgesprochen hat (siehe die "hart aber fair"-Sendung von gestern), dass Religion Menschen auch zum Fanatismus bringen kann - wenn man sie wörtlich versteht, was laut Religion zwingend geboten ist"
Die wörtliche, sprich fundamentalistische Auslegung einer Religion ist nur dann ein Problem, wenn die Fundamente problematisch sind. Das müssen sie aber nicht zwangsläufig sein. Wir werfen "Religion" immer so gerne in einen Topf, dabei ist dieses Wort so nichtssagend wie "Partei". Die postulierte Gleichheit der Religionen fügt sich so wunderschön in unser gängiges PC-Kuschelbild ein, trifft aber mMn nun überhaupt nicht die Realität.
Religionen sind genau so unterschiedlich wie Ideologien, genau wie Ideologien transportieren Religionen unterschiedliche Ideen.
Nun ist es sicher richtig, dass Religionen generell allein durch ihr ingroup/outgroup Denken eine aggressionsförderndes Element aufweisen. Aber es gibt da eben noch eine weitere Ebene - das ist die der Inhalte und Ideen, und da gibt es Unterschiede, die wir gerne allzuleicht übersehen.
Little Louis am Permanenter Link
@ david und B.K. am 29.9.
"".... Fundamentalismus nur dann ein Problem, wenn die Fundamente problematisch sind......" Ein sehr wichtiger Hinweis, wir zu leicht übersehen.
Ein nicht minder wichtiger Teil dieser Problematik berifft neben den antiquierten Inhalten aber auch die fast grenzenlose Exegesefähigkeit von Religionen. Man kann darauf keine stabilen Ethiken aufbauen (sofern man es will).Die ist jedoch für jene, die solche Religionen als Massen manipulationswerzeuge zur Durchsetzung von Ego- Interessen einsetzen wollen geradezu ideal. Die Gewöhnung der Bevölkerung an den Irrationalismus der beliebigen Exegesefähigkeit lässt kaum mehr Misstrauen aufkommen. Bestellt sich ein Veganer ein Rindersteak, nimmt ihn keiner ernst. Segnet ein Anführer der Religion der Nächstenliebe Waffen für Angriffskriege, regt das nur sehr wenige auf.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Die wörtliche, sprich fundamentalistische Auslegung einer Religion ist nur dann ein Problem, wenn die Fundamente problematisch sind."
Zunächst spreche ich von "Religion" wenn ich die Monotheismen meine. Und deren gemeinsames Fundament gründet in der Situation der kanaanitischen Stämme in Babylon im 6. Jh. v.u.Z. (Zeit des Exils).
Für diesen engen Zeitrahmen von wenigen Jahrzehnten machte die Konstruktion des Monotheismus Sinn - als identitätsstiftende und -rettende Ideologie. Alles danach - vor allem die unzähligen Schismen und Häresien - sind Ableitung dieser Grundgedanken, also des Fundaments.
Das mag mal positiv gelingen und zu harmlosen Ausformungen führen, doch das Fundament ist in jeder Form noch erkennbar. Das "Menschenfreundliche", was es zweifellos auch in jeder Religion gibt, ist jedoch eine fast willkürlich Weiterung oder Uminterpretation des eigentlichen Fundaments. Da sich jede Religion den Anschein des Ewigen und Absoluten gegeben hat, wird man dieses Fundament nicht los und es bleibt in allen "heiligen" Schriften nachzulesen.
Die Folge KANN (MUSS aber nicht) sein, dass sogenannte Fundamentalisten dieses Fundament aus einem Berg Barmherzigkeit und Nächstenliebe ausgraben und als "göttlichen" Auftrag verstehen. Und jedes Mal dann wird es brandgefährlich.
Solange Religion nicht grundlegend reformiert ist (inklusive neuer "heiliger" Schriften) oder von mir aus gesellschaftlich erloschen wird die Welt immer in Gefahr schweben, dass sich eines Tages Gläubige egal welcher Religion auf ihr Fundament besinnen und danach handeln.
David am Permanenter Link
Nun, genausowenig wie man "Religion" verallgemeinern kann, kann man "Monotheismus" verallgemeinern, schliesslich gibt es neben den 3 Abrahamitischen Monotheismen auch noch andere.
Die Ähnlichkeiten zwischen den drei Abrahamitischen Religionen auf der von Ihnen geschilderten Ursprungsebene sind zweifellos erkennbar, da bin ich dabei. Aber das sind ganz sicher nicht die Fundamente, die Gläubige als Fundament Ihrer Religion sehen. Wenn sie dies täten, würden sie den Anspruch eines Monotheismus und ihrer alleinigen Wahrheit etc. ad absurdum führen. Das Fundament der Selbstdefinition des Judentums/Christentums wie auch das Fundament des Islam sind folglich nicht die Gemeinsamkeiten, sondern die Unterschiede.
Es kommt mMn also auf die Spezifika an, wenn wir die Fundamente betrachten, auch bei den drei Abrahamitischen Religionen. Es besteht ein objektiver Unterschied zwischen den Ideen, die aus einer Hinwendung zum spezifischen Fundament resultieren, wenn sich ein Luther auf die christlichen Fundamente rückbesinnt (Jesus, NT) oder wenn diese Rückbesinnung ein Muslim mit seinen islamischen Fundamenten (Mohammed, Quran/Sunna) vornimmt. Letzteren nennen wir für gewöhnlich Salafist.
Beide wenden sich in einem Versuch der Rückbesinnung an das Ursprüngliche, an das Fundament, ihrer Religion. Und ich möchte behaupten, dass man hier in der Anzahl der schlechten Ideen und in der "Qualität" der schlechten Ideen durchaus Unterschiede festellen kann.
Von daher will mir die erneut gemachte Verallgemeinerung ("egal, welcher Religion") nicht einleuchten.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Da sehe ich einiges doch ein wenig anders.
"Nun, genausowenig [...] kann man "Monotheismus" verallgemeinern, schliesslich gibt es neben den 3 Abrahamitischen Monotheismen auch noch andere. Ich vermute daher, dass Sie speziell die drei Abrahamitischen Religionen meinen ("...kanaanitischen Stämme... ")."
Ich meine die tausenden und abertausenden Schismen und Häresien, die aus der "Uridee" entstanden - viele inzwischen erloschen, andere (z.B. der Zoroastrismus) erlöschen gerade demografisch. Mir fällt jetzt spontan kein aktueller Monotheismus ein, der nicht in irgendeiner Weise vom Judentum beeinflusst wurde. Aber selbstverständlich stellen ca. 99% der monotheistischen Anhänger das Juden- und Christentum sowie der Islam.
"Wenn sie dies täten, würden sie den Anspruch eines Monotheismus und ihrer alleinigen Wahrheit etc. ad absurdum führen. Das Fundament der Selbstdefinition des Judentums/Christentums wie auch das Fundament des Islam sind folglich nicht die Gemeinsamkeiten, sondern die Unterschiede."
Aber genau das ist doch der Casus knacksus: Würden sich alle auf ihre Gemeinsamkeiten besinnen, wären letztlich alle Juden. Doch Juden hatten sich für Heiden nicht geöffnet, hielten sich für das einzige auserwählte Volk. Aus diesem Grund gab es doch die christliche Abspaltung, die sich für Heiden öffnete und so ungeheuren Zulauf erhielt. Das gleiche mit dem Islam, der wieder näher an die jüdischen Wurzeln wollte und die arabischen Stämme einigte. Das geht nur mittels erkennbarer Unterschiede.
Wie in der Politik: Wenn die SPD der CDU (oder umgekehrt) zu ähnlich wird, dann wird sie unwählbar, weil man dann gleich das Original will. Und wie in der Politik sind auch bei Religionen gleichen Stamms die Unterschiede oft nur aufgesetzt, nach außen sichtbar, aber nicht den Kern - das Fundament - betreffend. Es gibt natürlich auch den Fall einer nur äußerlichen Annäherung, doch der macht nur in einer Übergangsphase, wo der neue Player auf der Bühne noch unbekannt ist (schmücken mit fremden Federn), Sinn.
Da Religionen - wie politische Parteien - in erster Linie auf Machtgewinn und Machterhalt aus sind, müssen sie stets einen Balanceakt vollführen, nicht zu neu, aber auch nicht zu vertraut zu wirken. Daher werden die Unterschiede groß gefeiert, aber der Insider merkt, dass es im Grund nur alter Wein in neuen Schläuchen ist.
"Es besteht ein objektiver Unterschied zwischen den Ideen, die aus einer Hinwendung zum spezifischen Fundament resultieren, wenn sich ein Luther auf die christlichen Fundamente rückbesinnt (Jesus, NT) oder wenn diese Rückbesinnung ein Muslim mit seinen islamischen Fundamenten (Mohammed, Quran/Sunna) vornimmt. Letzteren nennen wir für gewöhnlich Salafist."
Und Ersteren müssen wir redlicher Weise einen Antisemiten nennen. Im Februar 2016 erscheint die erste Übertragung von Luthers "Von den Juden und ihren Lügen" in modernem Deutsch. Ich habe daran mitgewirkt. Hier kann auf 350 Seiten nachgelesen werden, wie gerade die Rückbesinnung Luthers auf die Bibel und sein striktes "sola scriptura" aus ihm einen Menschenfeind gemacht hat. Er hasste Juden, Muslime, Frauen und Behinderte und vielleicht sogar sich selbst.
Er hat bis auf die Gaskammern alles von seiner Obrigkeit gefordert, was die Nazis später großtechnisch und deutschgründlich durchgesetzt haben. Gegen die Macht Luthers, dessen Ideen letztlich Europa in den 30-jährigen Krieg stürzten, und gegen seine theologisch begründete Intoleranz anderen Ideen gegenüber (obwohl gerade er durch seine Reformation neue Wege [aber eben rückwärts] gehen wollte) wirkt ein Salafist heute wie ein alberner Clown aus dem Kasperletheater.
Natürlich sind uns Letztere näher, weil aktuell. Natürlich hat die evangelische Kirche inzwischen ihren Judenhass verloren, weil der nach dem 2. Weltkrieg nicht mehr durchzuhalten war. Aber wenn ich die Wirkmächtigkeit dieser beiden Figuren vergleiche, erschaudert es mich vor Luther weitaus mehr. Trotzdem habe ich beide nicht lieb...
"Von daher will mir die erneut gemachte Verallgemeinerung ("egal, welcher Religion") nicht einleuchten."
Das ist ja in Ordnung.
Ich beschäftige mich mit Religionsgeschichte praktisch mein Leben lang mit unterschiedlichen Vorzeichen. Vor über 40 Jahren habe ich in der Schule Thesenreferate zu dem Thema geschrieben, die sehr gelobt wurden. Ich bilde mir darauf nichts ein, aber ich bin in dem Thema sehr tief drin. Und da mich speziell die Uranfänge der monotheistischen Idee interessiert und fasziniert haben, kenne ich komplexen Zusammenhänge recht genau.
Ich habe mir in den letzten zehn Jahren jedoch abgewöhnt, überhaupt noch große Unterschiede zwischen den Monotheismen zu sehen. Was man sehen muss, ist die politische Großwetterlage, in die Monotheismen eingebettet sind. Ein christliches Mittelalter war nicht lustiger, als das Königreich Saudi-Barbarien heute. Seit 1803 wird die christliche Kirche in Deutschland systematisch entmachtet.
Um die Restbestände an Immobilien, Vermögen und Macht zu erhalten, hat man mit den Herrschern kollaboriert. Das sieht man erschreckend im 3. Reich. Und als die Demokratie eingeführt wurde, passte man sich wieder an, kämpfte noch ein Zeitlang offen gegen die Gleichberechtigung von Mann und Frau und mag Homosexuelle bis heute nicht völlig gleichwertig behandeln - und Frauen natürlich auch nicht, selbst wenn die Lippenbekenntnisse anders klingen. Aber trotz aller verbliebenen Ärgernisse dürfen wir das heutige Christentum light nicht mit der Hardcore-Variante des Mittelalters vergleichen - beide stehen aber auf dem gleichen Fundament.
Doch wie sähe die Welt aus, wenn plötzlich die Demokratie abhanden käme und eine Theokratie Einzug hielte? Vielleicht wie heute bereits in dem einen oder anderen afrikanischen Land, in dem Christen Muslime abschlachten und Bischöfe die Todesstrafe für Schwule fordern?
Nein! Unterschiede sind nur an der Oberfläche und in der Reformfähigkeit (die ist beim Christentum größer) erkennbar. Das Fundament ist in allen Fällen dualistisch und fremdenverachtend. Alles, was nicht der jeweiligen Norm entspricht, wird im Fall politischer Macht einer gnadenlosen Vernichtungsweihe unterzogen - ausgerottet aus der Mitte der Gesellschaft, so, wie es in Bibel und Koran als göttlicher Auftrag steht.
Little Louis am Permanenter Link
@ Bernd K. am 2.9. um 18:03
Zu Absatz zwei und drei:
2. Zu Luther:" ....er hasste....". Ihre Formulierung erinnert mich an H.A.Sammas aktuelle Mohamme- Charakterisierung. Ist aber- mit Verlaub-- nichts ganz so Neues.
3. Zum hiesigen "light-Christentum": Dafür, dass nur geschätzte 20% der hiesigen Christen an die Kern-Ideologie ihrer kirchl. Institute ernsthaft glaubt und kaum einer deren Gebote einhält, sitzen die Kirchen, was ihren gesellschaftlich- politischen Einfluss betrifft, noch ganz schön fest im Sattel.
Die Macht des eventuelle Probleme vermeiden wollenden Konformismus sollte man auch gegenwärtig nicht unterschätzen. Was in dieser Beziehung mit dem Islam auf uns zukommen könnte, sollte uns noch mehr beunruhigen.Gerade auch im Hinblick auf eine wohl langfristg angestrebte gemeinsame Front gegenüber "dem Laizismus". Das funktioniert noch besser mit einer "Islam - light" -Version, falls eine solche doch möglich sein bzw. möglich werden sollte. Ihre konstatierte bessere Reformfähigkeit des Christentums liegt wohl eher an der(jahrhundertelangen) Gewöhnung der "Gläubigen" daran, dass vermittels von geschickter Exegese die zumindest teilweise Umwandlung von Glaubensinhalten (manchmal sogar ins Gegenteil) problemlos möglich ist.
David am Permanenter Link
Vielen Dank für die ausführliche Erläuterung. Mir ist immer noch nicht klar, wie Sie die spezifischen Unterschiede religiöser Ideen in Ihre Betrachtung einbauen.
"Aber genau das ist doch der Casus knacksus: Würden sich alle auf ihre Gemeinsamkeiten besinnen, wären letztlich alle Juden."
Ich bin da hinsichtlich des Ursprungs faktisch ja ganz bei Ihnen, aber ich frage mich, in wie weit der Konjunktiv eine Rolle spielt bei der Beurteilung des Ist-Zustands. Der Ist-Zustand ist gegeben dadurch, dass sich die drei Abrahamitischen Religionen in ihrer Selbstdefinition von einander durch unterschiedliche Ideen unterscheiden. Ist es also vernünftig schlusszufolgern, dass alle drei Abrahamitischen Religionen in ihrer kontemporären (!) Konzeption genau deshab gleich sind, weil sie im Ursprung (!) gewisse Ähnlichkeiten aufweisen? Sind die sich im Laufe der Zeit bis zum heutigen Ist-Zustand gebildeten Unterschiede nicht auch relevant, vielleicht sogar viel bedeutsamer in solch einer vergleichenden Betrachtung? Macht es folglich nicht einen Unterschied, ob man die Fundamente der Monotheistischen Religion erfassen möchte oder die Fundamente einer spezifischen Religion?
Ich denke, letztendlich kommt es bei unseren beiden Perspektiven darauf wann, was man als "Fundament" definiert. Ich habe den Eindruck, Sie vermischen da ein wenig "Ursprung" mit "Fundament". Meine Meinung nach ist die Definition der Fundamente einer gelebten Religion nur mit Einbeziehung ihrer gelebten Komponenten, also der Prophetenwahrnehmung und ihrer postulierten Ideen, möglich, ja sogar zwingend logisch-notwendig, denn würden wir dies nicht tun und nur den Ursprung heranziehen, würden wir nicht die Religionen vergleichen sondern deren Ursprünge.
"Und Ersteren müssen wir redlicher Weise einen Antisemiten nennen..."
Mir ging es mit meinem Gedanken nicht um die Beweihräucherung Luthers, sondern um die Tatsache, dass die Wertigkeit einer "Rückbesinnung" auf Zustand X in Abhängigkeit steht von Zustand X. Rückbesinnung oder Reformation an sich sagen demnach für sich allein absolut nichts aus darüber, ob diese Veränderung "gut" oder "schlecht" ist.
Ich denke, man erkennt in der Reformation durchaus einige humanistische und sozialpolitische Einflüsse, die eine Verbesserung zum Zustand vorher darstellen. Die islamische Rückbesinnung/Reformation (Salafismus) hingegen kann aus unserer humanistisch-aufgeklärten Perspektive diesen Schritt nicht aufweisen, im Gegenteil, sie stellt ein Rückschritt dar.
"Und da mich speziell die Uranfänge der monotheistischen Idee interessiert und fasziniert haben, kenne ich komplexen Zusammenhänge recht genau."
Das glaube ich Ihnen gern und ich will auch gerne einräumen, dass ich keine 40-jährige Expertise aufweise. Aber selbst dann erscheint es mir formal nicht korrekt, von "Religionen" zu sprechen, wenn man nur die drei Abrahamitischen Religionen bzw die monotheistischen Religionen meint. Das ist nicht nur unpräzise und verzerrend, sondern in gewisser Weise auch gefährlich, weil sich diese falsche Generalisierung von "Religionen" bereits schon viel zu tief in das allgemeine Bewustsein eingepflanzt hat.
"Ich habe mir in den letzten zehn Jahren jedoch abgewöhnt, überhaupt noch große Unterschiede zwischen den Monotheismen zu sehen. "
Diese Position finde ich interessant. Können Sie diese weiter ausführen? Warum macht es für Sie keinen Unterschied, welche spezifischen Ideen in den drei Religionen herumspuken? Sind es nicht genau diese Ideen, mit denen wir uns alltäglich herumärgern müssen?
"Ein christliches Mittelalter war nicht lustiger, als das Königreich Saudi-Barbarien heute. "
Vollkommen richtig. Aber was wollen Sie damit sagen? Gibt es in der islamischen Welt keine klugen Köpfe? Meinen Sie nicht auch, dass 1400 Jahre ausreichen sollten, um eine Religion mit der Moderne tendenziell eher kompatibel zu machen anstatt eher inkompatibel? Müssen wir noch weitere 1400 Jahre warten, bis es eine im humanistischen Sinne positive islamische Reformation gibt anstatt der bisherigen Negativen (Salafismus)?
"Aber trotz aller verbliebenen Ärgernisse dürfen wir das heutige Christentum light nicht mit der Hardcore-Variante des Mittelalters vergleichen - beide stehen aber auf dem gleichen Fundament."
Das kommt darauf an, was man als Fundament definiert. Viele Auswüchse der Religion im christlichen Mittelalter sind nicht ohne weiteres auf die Fundamente der christlichen Religion (Jesus, NT) zurückzuführen - ganz im Gegensatz zum Islam, wo die von uns als Auswüchse wahrgenommenen Ideen EXAKT in einer klaren Linie von den Fundamenten (Mohammed, Quran, sunna) zu den Handlungen stehen.
"Doch wie sähe die Welt aus, wenn plötzlich die Demokratie abhanden käme und eine Theokratie Einzug hielte? Vielleicht wie heute bereits in dem einen oder anderen afrikanischen Land, in dem Christen Muslime abschlachten und Bischöfe die Todesstrafe für Schwule fordern?"
Eine sehr interessante Frage. Ihre Vermutung ist da sicherlich zutreffend, was aber wohl eher am generellen Aggressionspotential von monotheistischen Religionen durch ihren alleinigen Wahrheitsanspruch und dem inherenten ingroup/outgroup Tribalismus liegen düfte.
Darüber hinaus würden wir ganz sicher auch Unterschiede zwischen einer christlichen Theokratie und einer islamischen sehen. Unterschiede, die in den jeweilgen Ideen begründet sind. Es gibt einen erheblichen Unterschied zwischen dem gedanklichen Weg, den ein Christ von der Wahrnehmung der christlichen Ideen hin zur Legitimierung von intoleranten und gewalttätigen Handlungen beschreiten muss und dem Weg, den ein Muslim zurücklegen muss, wenn sich beide im Einklang mit den jeweilgen Religionsfundamenten wissen möchte.
"Nein! Unterschiede sind nur an der Oberfläche und in der Reformfähigkeit (die ist beim Christentum größer) erkennbar. Das Fundament ist in allen Fällen dualistisch und fremdenverachtend."
Das ist mir viel zu pauschal und ich wundere mich: erkennen Sie mit Ihrer Expertise tatsächlich keine Unterschiede in den spezifischen Ideen, die in Religonen, selbst in den 3 Abrahamitischen, erschaffen und konserviert werden?
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Ist es also vernünftig schlusszufolgern, dass alle drei Abrahamitischen Religionen in ihrer kontemporären (!) Konzeption genau deshab gleich sind, weil sie im Ursprung (!) gewisse Ähnlichkeiten aufweisen?"<
Für mich ist das Fundament die Basis, auf der alles steht. Wie die Wurzel eines Baumes. Natürlich sind die einzelnen Zweige "Individuen", aber alle entsprießen letztlich der Wurzel. Würden wir die unzähligen Zweige des Monotheismus als Grundlage unserer Betrachtung machen, hätten wir zehntausende von Sekten, die alle letztlich auf die Wurzel "Monotheismus aus Babylon" zurückgehen. Heutzutage wird diese Beliebigkeit der Interpretation sogar zum "Volkssport", in dem quasi jeder Gläubige und auch viele Kirchenfunktionäre je nach Gusto ihre eigene Variante "patchworken".
"Meine Meinung nach ist die Definition der Fundamente einer gelebten Religion nur mit Einbeziehung ihrer gelebten Komponenten, also der Prophetenwahrnehmung und ihrer postulierten Ideen, möglich, ja sogar zwingend logisch-notwendig, denn würden wir dies nicht tun und nur den Ursprung heranziehen, würden wir nicht die Religionen vergleichen sondern deren Ursprünge."
Aber genau darum ging es mir. Die märchenhaften, lächerlichen Ausformungen, die widersprüchlichen Phantasiegebilde unterscheiden sich natürlich, aber ist das wirklich relevant? Ein Beispiel: Der Erzengel Gabriel spielt in Christentum und Islam eine wichtige Rolle. Den Christen verkündete er die Ankunft von Gottes Sohn, den Muslimen verkündete er, dass Gott keine Kinder hat. Preisfrage: Wen hat er angelogen? Maria und Josef oder Mohammed? Ich kann diese Unterschiede nicht ernst nehmen im Sinne einer Einbeziehung in meine Bewertung der Monotheismen.
"Ich denke, man erkennt in der Reformation durchaus einige humanistische und sozialpolitische Einflüsse, die eine Verbesserung zum Zustand vorher darstellen. Die islamische Rückbesinnung/Reformation (Salafismus) hingegen kann aus unserer humanistisch-aufgeklärten Perspektive diesen Schritt nicht aufweisen, im Gegenteil, sie stellt ein Rückschritt dar."
Jein! Die vordergründigen Verbesserungen durch Luther war, dass er zunächst alte Zöpfe des Papsttums abschneiden wollte. Jedoch hat er daraus nicht abgeleitet, dass möglicherweise das gesamte Christentum problematisch ist, weil das Papsttum ja originär aus dem Urchristentum hervorgegangen ist. Natürlich gemäß der Erkenntnis, das absolute Macht absolut korrumpiert. Das ist also keine religiöse Erfindung.
Jedoch - und jetzt gehe ich noch einen Schritt weiter - finden wir das alles auch in der Politik, weil ich letztlich alle Ideologien für anfällig für Machtmissbrauch halte. So gesehen haben auch die Monotheismen große Ähnlichkeiten mit politischen Ideologien, wie Faschismus oder Kommunismus. Für mich geht es stets um die Ziele einer Ideologie: Geht es um die Alimentierung einer kleinen Minderheit an der Spitze oder sorgt sie sich um das Wohlergehen des Volkes? Faustregel: Je reicher die Führungselite und je ärmer das gemeine Volk, desto negativer bewerte ich die Ideologie. Extrembeispiel: Nordkorea.
Die Demokratie enthält zumindest Mechanismen, die den gröbsten Missbrauch entweder verhindert oder zumindest aufdecken lässt. Z.B. durch uneingeschränkte Meinungsfreiheit. Und genau die finden wir in politischen und religiösen Ideologien nicht. Der Mensch ist eben der Mensch und ohne Korrektiv kommt er (oft) auf schädliche Gedanken.
"Aber selbst dann erscheint es mir formal nicht korrekt, von "Religionen" zu sprechen, [...] sondern in gewisser Weise auch gefährlich, weil sich diese falsche Generalisierung von "Religionen" bereits schon viel zu tief in das allgemeine Bewustsein eingepflanzt hat."
Dies stellt allerdings nur ein Problem dar, wenn man sich als Bestandteil einer dieser monotheistischen Ausprägungen sieht. Ich selbst wünschte mir eine Welt, die völlig religionsfrei ist, weil wir dann sehr viele unnötigen Probleme nicht mehr hätten. Allein was gerade wieder um den Jerusalemer Tempelberg geschieht, ist ausschließlich religiös motiviert. Lasst doch lieber diese Ideologien sterben, bevor noch mehr Menschen wegen ihnen sterben müssen.
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""Ich habe mir in den letzten zehn Jahren jedoch abgewöhnt, überhaupt noch große Unterschiede zwischen den Monotheismen zu sehen. "
Diese Position finde ich interessant. Können Sie diese weiter ausführen?"
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Gerne. Das Wesen oder Fundament eines Monotheismus ist nicht, dass der eine zu Fuß in den Himmel aufstieg und der andere auf einem geflügelten Pferd. Oder dass der eine Messias gekreuzigt und der andere noch gar nicht erschienen ist. Oder dass Gott einmal Kinder hat und zweimal kinderlos blieb. Etc. Der ganze Märchenzierrat eben, die Folklore, die Gläubigen Eindruck machen soll.
Der Kern ist Macht! Die kanaanitischen Stämme waren bis in das 7. Jh. v.u.Z. verstreute Halbnomaden, einander oft spinnefeind, jeder andere Götter anbetend, ein ganz normales polytheistisches Pantheon über sich wähnend. Hier gab es weder wirtschaftliche noch militärische Macht. Deshalb wurde man Spielball der umliegenden Großreiche.
Im 6. Jh. wurden sie in das neubabylonische Reich Nebukadnezars II. einverleibt, die Führungsschicht nach Babylon geführt. Dort kamen die Hirten in eine neue Welt: Schrift und Hochkultur! Die Macht des geschriebenen Wortes zu Identitätsfindung wurde erkannt. Die Folge: Um nicht unterzugehen wurde der Tanach (die hebräische Bibel = AT) geschrieben. Alle dessen Geschichten ranken sich um einen einzigen Punkt: Wir sind wer! Wir sind Gottes auserwähltes Volk, wir bekommen von ihm das gelobte Land, wir sind seine Kinder, die er beschützt, die er schon aus Ägypten gerettet hat, die er immer wieder retten wird, wenn .... tja, wenn man nur an ihn glaubt. Ehrlich? So einfach geht das? Nein! Da wurde die Rechnung ohne das Priestertum gemacht. Gott - und das ist in ALLEN Monotheismen identisch - wird nur dann barmherzig, gnädig oder lieb, wenn SEINE Priester vom Volk geschützt, unterstützt und ernährt werden!
Nur wenn diese Macht des Volkes (lustiger Weise nicht die Gottes, die ja viel größer wäre) auf die Priesterschaft übertragen wird, zürnt Gott nicht und verschont das Volk - damit ihm nicht das gleiche Ungemach widerfahren möge, wie im Paradies, bei der Sintflut oder in Sodom und Gomorra.
Alle Märchen der Bibel propagieren diese Grundthese: Wenn ihr alle die Priester unterstützt, dann legen sie ein gutes Wort bei Gott für euch ein und ihr bekommt die Poleposition im Himmelreich.
Dass hier leere Versprechungen gemacht werden, ist einem denkenden Menschen klar. Dass dafür Menschen bereit sind einen Teil ihrer Erträge zu opfern, ist unfassbar! Dass selbst die heutige Politik dies unterstützt ist ein Skandal!!!
Wir müssen uns nicht mit den "Unterschieden" herumärgern, sondern mit diesem rotzfrechen Machtanspruch der Religionen!
"Gibt es in der islamischen Welt keine klugen Köpfe? Meinen Sie nicht auch, dass 1400 Jahre ausreichen sollten, um eine Religion mit der Moderne tendenziell eher kompatibel zu machen anstatt eher inkompatibel?"
Wo stand das Christentum im Jahr 1400? Noch ca. 300 Jahre vor der Aufklärung! Dank Internet wird es heute schneller gehen. Viel schneller. Wenn die westliche Politik endlich erkennen würde, dass Religion an sich ein Problem unserer Zeit darstellt, weil sie nur Probleme schafft, wäre viel gewonnen. Dann würden wir unseren Ton sogenannten Gottesstaaten gegenüber ändern. Es gibt selbst in Saudi-Barbarien Widerstand gegen die Altherrenriege der Religionsführer. Noch werden die Kritiker und Blogger hingerichtet oder weggesperrt. Doch es gärt im Volk und der Tag ist nah, an dem sich auch die arabischen Völker darüber bewusst werden, dass sie ein Volk sind. Dabei wird der Gedanke an eine Reform des Islams nebensächlich sein. Denn objektiv gesehen braucht es überhaupt keine Religion, um die Probleme der Welt zu lösen.
"Viele Auswüchse der Religion im christlichen Mittelalter sind nicht ohne weiteres auf die Fundamente der christlichen Religion (Jesus, NT) zurückzuführen - ganz im Gegensatz zum Islam, wo die von uns als Auswüchse wahrgenommenen Ideen EXAKT in einer klaren Linie von den Fundamenten (Mohammed, Quran, sunna) zu den Handlungen stehen."
Das wird gerne von Christen so suggeriert. Doch ist die Lehre um Jesus (die Texte wurden alle nachträglich den Erfordernissen des Urchristentums angepasst, also kann man kaum von einer "Lehre von Jesus" sprechen) wirklich so nächstenlieb, wie gerne behauptet?
Das größte Problem war jedoch der Umgang mit dem Glauben an sich. Das Augustinische "Glaube, damit du erkennst" war die Totalkatastrophe, weil sie weltliche Bildung vernichtete (wissenschaftliche und profane Bücher wurden im Verhältnis 1:1000 verbrannt). Daraus resultierte ein grassierender Analphabetismus, das Volk verblödete regelrecht.
Vor diesem Hintergrund schwangen sich natürlich Despoten an die Macht, die auch im Kommunismus machtgeil gewesen wären. Ein gebildeteres Volk hätte jedoch sicher diesen mehr Widerstand entgegengesetzt. Und die Kirche schüchterte viele ein durch Inquisition und Hexenverfolgung, Enteignungen und die Erpressung von Blutgeld für den Bau schöner Kathedralen. Die Kriminalgeschichte ist kein Begleitumstand des Christentums, sondern wurde von diesem ideologisch mitgetragen.
Genau das erleben wir heute im IS, der den Islam in Reinform propagiert. Ich finde auch schwer erträglich, wenn religiöse Verbandsvertreter behaupten, man müsse eine Religion an den Gläubigen messen, die diese Religion in großen Teil abgelegt haben oder nicht mehr praktizieren.
Das wäre so, als würde man aus einem impotent gewordenen Kinderschänder ableiten, dass Pädophilie akzeptabel sei. Ein krasses Beispiel, aber eines, das das Prinzip (hoffentlich) ganz gut zeigt.
"Es gibt einen erheblichen Unterschied zwischen dem gedanklichen Weg, den ein Christ von der Wahrnehmung der christlichen Ideen hin zur Legitimierung von intoleranten und gewalttätigen Handlungen beschreiten muss und dem Weg, den ein Muslim zurücklegen muss, wenn sich beide im Einklang mit den jeweilgen Religionsfundamenten wissen möchte."
Für mich hängt dies nur von den gesellschaftspolitischen Grundvoraussetzungen ab. Unsere Demokratie verhindert sicher erfolgreich, dass Christen oder Juden bei uns "ausflippen", während Demokratie tendenziell eher ablehnende Muslime damit weniger Probleme haben. Aber das ist eine Frage der "Gewöhnung" an demokratische Prozesse und nicht so sehr eine Frage der Religion. Auch die inzwischen 4. oder 5. Nachkriegsgeneration hat sich an die Vorzüge friedlichen Zusammenlebens gewöhnt, sodass Neonazis doch eher selten geworden sind, ebenso religiöse Gewalttäter. Da hinkt die islamische Tradition noch hinterher.
"... ich wundere mich: erkennen Sie mit Ihrer Expertise tatsächlich keine Unterschiede in den spezifischen Ideen, die in Religonen, selbst in den 3 Abrahamitischen, erschaffen und konserviert werden?"
Ich kenne jeden einzelnen Unterschied, nur halte ich die für irrelevant, genauso irrelevant, wie die friedliche, schweigende und angepasste Mehrheit, die es in allen Religionen gibt. Ob sich der Abtreibungsarzt, der in den USA von Christen erschossen wurde, besser gefühlt hat, weil er von Christen und nicht von einem Moslem getötet wurde? Spielt es wirklich eine Rolle, ob der eine an einen Gottessohn und der andere generell an keine Gotteskinder glaubt? Angeblich - folge ich den Verlautbarungen der Verbandsvertreter - sind alle Monotheismen nächstenlieb und der Gott ist barmherzig etc. pp. Und wenn die Wirklichkeit anders aussieht, dann hat dies angeblich nichts mit Religion zu tun. Oder sie wird von bösen Terroristen mussbraucht.
Ich bleibe dabei: Wenn wir den demokratischen Deckel von der christlichen Büchse der Pandora nehmen würden, wäre das Ergebnis vergleichbar mit dem IS. Deshalb: GOTT UND STAAT SEPARAT! Keine Macht den Religionen, keiner einzigen. Glauben muss reine Privatsache werden, keine Staatsalimentierung für alte Männer in Frauengewändern, für Schwulen- und Frauenhasser.
Little Louis am Permanenter Link
@ Bernd Kammerer am 05.10.15 um13:34
Zu: ".... unsere Demokratie verhindert sicher erfogreich, das Chtristen oder Juden bei uns ausflippen..." (Zit.- Ende):
Wichtig ist Ihre Einschränkung (..bei uns..). Aber ganz so sicher bin ich mir dabei nicht. In wirklich existentiellen Krisensituationen entweder ökonomischer oder radikal militärischer Art kann sich religiös- oberflächlicher Wohlstands- Humanismus ganz schnell in Luft auflösen, was historische Krisen bis hin zum Jugoslawien - Zerfall eindeutig beweisen.
Noch eine Anmerkung zur aktuellen Gegenwart:
Aus einer Regionalzeitung von heuteein Beitrag unter der Überschrift:
"Muslime und Christen in gemeinsamem Gebet vereint":
Es geht um eine gemeinsame Gebetsstunde mit einem kath. Dekan, einer Pfarrerin, einem örtlichen und einem überörtlichen Imam. Die Pfarrerin habe sich zum Ziel gesetzt, zuzeigen, dass "die Koexistenz beider Religionen eigentlich ganz einfach ist".Sie behauptet, dass "...es keine Schwierigkeitendarstellen dürfte, die Glaubensgewissheiten anderer Religionen zu AKZEPTIEREN" (Hervorhebung von mir) "... zumal die Religionen durch identische Wurzeln viele Ähnlichkeiten miteinander aufweisen." (Zit.- Ende). Bei der Intonierung von biblischen Textstellen und zweier Suren aus dem Koran, ".....fiel sofort die ähnliche Klanggebung auf, die aus einer eher eintönigen Intonation bestand." (Zit.- Ende). Der Imam habe anschliesend darauf hingewiesen, dass
- "Gott die Schaffung allen Lebens bewekstelligt" habe und "zu einem friedlichen Leben in der Gemeinschaft" auffordere. Mohammed sage, dass Gott im Herzen der Menschen wohne, weshalb der Mensch es vor Hass und Schmutz bewahren solle. Aus den Suren sei zu erkennen, dass "...im Herzen die Liebe wohne, die der Schöpfer allen Menschenzur Aufgabe gestellt".. habe.. Er suggeriert/zitiert (unklar) zwei Surenzitate/ bzw.-Texte: "Nehmt den Frieden an" und "Seid friedlich zueinander" Er "stellte heraus, dass dieser Tag "unsere Einheit" dokumentiere, die für alle Mitglieder der Gesellschaft Gültigkeit habe."" Es fogten Fürbitten in verschiedenen Sprachen. Ein muslimisches Abschlussgebet und das Vaterunser sowie ein "Segen aller Geistlicher uber die Versammlung" beendeten die Veranstaltung.
No more comment ... von L.L.
David am Permanenter Link
"Die märchenhaften, lächerlichen Ausformungen, die widersprüchlichen Phantasiegebilde unterscheiden sich natürlich, aber ist das wirklich relevant?
Die Phantasiegebilde werden genau dann relevant, wenn sie aus Inhalten bestehen, die einen direkten Einfluss auf die Realität und somit andere Menschen haben. Der Erzengel kann uns in der Tat schnuppe sein, denn ich
wüsste nicht, wie aus dieser Idee eben jene Konsequenz resultieren könnte. Insofern brauchen wir DIESEN Unterschied natürlich nicht ernst nehmen. Aber Sie wissen selbst, dass es da noch mehr gibt.
Dass der Streit um die alleinige Wahrheit im Kontext der Monotheistischen Religionen oder besser: von ideologisch-geschlossenen Denksystemen ein
erhebliches Konfliktpotential birgt, hatte ich ja bereits eingeräumt. Darum geht es mir aber nicht. Mir geht es um die IDEEN an sich, die transportiert werden. In ihnen liegt ein zusätziches Konfliktpotential und das sollten wir nicht pauschal mit dem ersten vermischen.
"Jein! Die vordergründigen Verbesserungen durch Luther war, dass er zunächst alte Zöpfe des Papsttums abschneiden wollte. Jedoch hat er daraus nicht abgeleitet, dass möglicherweise das gesamte Christentum problematisch ist,"
Völlig richtig. Die Problematik der Religion an sich hat Luther natürlich nicht aufgegriffen. Aber das ist auch nicht mein Punkt. Der Punkt ist, dass die Wertigkeit einer Rückbesinnung auf das Fundament X in Abhängigkeit steht von Fundament X (Fundament im Sinne der Religionsdefinierenen Baussteinen, nicht des Ursprungs).
Oder anders formuliert: Wenn religiöser Fundamentalismus ein Problem ist, dann sind auch die Fudamente einer Religion ein Problem. Ist islamischer Fundamentalismus ein Problem? Ja. Ist chrislicher Fundamentalismus ein Problem? Ja. Ist der christlicher Fundamentalismus genau so ein Problem wie der islamische? Nein. Klingt gemein, ist aber leider so. Die Realität ist kein Wunschkonzert. Wie Sie schon sagten, Religionen sind in gewisser Weise wie Parteien bzw Ideologien und diese sind nunmal nicht alle gleich.
"Für mich geht es stets um die Ziele einer Ideologie: Geht es um die Alimentierung einer kleinen Minderheit an der Spitze oder sorgt sie sich um das Wohlergehen des Volkes?"
Auch da bin ich bei Ihnen. Allerdings: Man kann Ziele auf unterschiedliche
Weise anstreben. Und genau hier kommen die Ideen ins Spiel. Faschismus ist nicht gleich Faschismus: Spanischer Faschismus, Italienischer Faschismus, japanischer Faschismus, deutscher Nazism, lateinamerikanischer Faschismus usw. In ihrem Ziel sicher irgendwie gleich, aber mit jeweils spezifischen Ideen. Genau so wie Religionen, auch die Monotheismen.
"Dies stellt allerdings nur ein Problem dar, wenn man sich als Bestandteil einer dieser monotheistischen Ausprägungen sieht. Ich selbst wünschte mir
eine Welt, die völlig religionsfrei ist, weil wir dann sehr viele unnötigen Probleme nicht mehr hätten."
Das wünsche ich mir auch. Sehr sogar. Aber bei aller Symphathie für diesen
Gedanken, wir sollten schon bei den Fakten bleiben anstatt uns und anderen
was vorzumachen. Religionen unterschieden sind in den Ideen wie Ideologien oder Parteien. Wenn also Ideologien nicht alle gleich sind, dann sind auch nicht alle Religionen gleich.
"Gerne..."
Vielen Dank für die Ausführung. Soweit ich das sehe, besteht hier kein Dissens meinerseits. Aber auch hier scheint mir, dass bei
all dem, was Sie richtigerweise schreiben, der Aspekt der spezifischen Gedanken einer jeden Religion doch ein wenig ausblendet wird.
Ihre Perspektive ist die Meta-Ebene, die Ebene eines aussenstehenden
aufgeklärten Betrachters, der sich mit Ursprung, Aufbau, Struktur und dem
inherenten Machtansprüchen usw der Monotheistischen Religionen beschäftigt.
Auch hier bin ich im Grunde zwar ganz bei Ihnen. Aber sie bleiben in der Betrachtung in einen Schritt zurück. Nämlich der, die Perspektive des Gläubigen einzunehmen und zu verstehen, warum er so handelt wie er handelt.
Der Umstand, dass in der einen Religion als Prophet ein mittel- und machtloser make-love-not-war Wanderhippie kolportiert wird und in der anderen ein Machtpolitker und warlord als allumfassendes Rollenvorbild gilt,
auf dessen martialisches und rücksichtsloses Handeln man auch noch stolz
ist, ist ein nicht unwesentlicher Unterschied, der für eine vielzahl von unterschiedlichen (schlechten) Ideen verantwortlich ist.
"Wir müssen uns nicht mit den "Unterschieden" herumärgern, sondern mit diesem rotzfrechen Machtanspruch der Religionen!"
Ich muss mich hier wiederholen: Wir sollte nicht verallgemeinern. Der Einwand mag auf die Monotheistischen Religionen zutreffen, aber im
Polytheismus oder Buddhismus sieht das dann doch etwas anders aus. Soviel Präzision sollte sein. Die religiöse Idee, Tieren bei Bewusstsein die Kehle durchzuschneiden äußern nur gewisse Religionen, folglich müssen wir uns natürlich nur mit spezifischen Ideen spezifischer Religionen herumärgern.
"Wo stand das Christentum im Jahr 1400? Noch ca. 300 Jahre vor der Aufklärung! "
Sicher, hat lang genug gedauert. Und? Ich muss nochmal die rhetorische Frage stellen: Hatten oder haben die islamischen Gesellschaften keine klugen Köpfe? Könnte man nicht annehmen, dass mehrere hundert Jahre nach der Aufklärung diese befreienden Gedanken, einmal in die Welt gesetzt, ganz fix auch in der islamischen Gesellschaften Einzug finden? "irgendwann" einmal mag es sicherlich einen Islam-light geben, aber das geht mir zu viel langsam.
"Das wird gerne von Christen so suggeriert. Doch ist die Lehre um Jesus (die Texte wurden alle nachträglich den Erfordernissen des Urchristentums angepasst, also kann man kaum von einer "Lehre von Jesus" sprechen) wirklich so nächstenlieb, wie gerne behauptet?"
Ist das denn nicht so? Gibt es Quellen, die Jesus als warlord darstellen und darauf auch noch stolz sind? Dass an den Quellen herumgedocktert wurde,
steht ausser Frage. Aber das ist hier nicht der Punkt. Der Punkt ist, was am
Ende dabei herauskommt. Denn das ist das, was die Religion und die armen Gläublinge definiert. Es macht schon einen gewissen Unterschied, ob das Herumdocktern am Ende einen mittellosen Hippie-Propheten hervorbingt oder einen martialischen warlord-Propheten.
Ihre Beschreibungen zu den Auswüchsen der Christentums sind sicherlich
richtig. Aber wie gesagt, es wäre nicht präzise, hier nicht auch auf den oft fehlenden Zusammenhang zu den Schriften hinzuweisen.
"Genau das erleben wir heute im IS, der den Islam in Reinform propagiert.
Ich finde auch schwer erträglich, wenn religiöse Verbandsvertreter behaupten, man müsse eine Religion an den Gläubigen messen, die diese
Religion in großen Teil abgelegt haben oder nicht mehr praktizieren."
Volle Zustimmung. Aber ist es nicht eben diese Reinform, von der wir
sprechen? Halten sie das Christentum in "Reinform" tatsächlich gleich
problematisch wie den Islam? Die sich in der Realität manifestierenden
grotesken Ideen im Islam resultieren nicht "irgendwie" aus "Machtansprüchen" oder aus ingroup/outgroup Denken, oder gar aus dem Zufall. Sie entstehen, weil gewisse Gedanken SPEZIFISCH in der Religion konserviert sind und weitergetragen werden. Ist das Christentum damit entschuldigt? NEIN, natürlich nicht! Auch hier gibt es selbstverständlich vieles, was grotesken Einfluss auf die Realität hat.
Allerdings: Nur, weil zwei Sachverhalte "schlecht" sind, bedeutet das nicht,
dass nicht ein Sachverhalt "schlechter" sein kann.
"Für mich hängt dies nur von den gesellschaftspolitischen Grundvoraussetzungen ab. Unsere Demokratie verhindert sicher erfolgreich,
dass Christen oder Juden bei uns "ausflippen", während Demokratie
tendenziell eher ablehnende Muslime damit weniger Probleme haben. Aber das ist eine Frage der "Gewöhnung" an demokratische Prozesse und nicht so sehr eine Frage der Religion. Auch die inzwischen 4. oder 5. Nachkriegsgeneration hat sich an die Vorzüge friedlichen Zusammenlebens gewöhnt, sodass Neonazis doch eher selten geworden sind, ebenso religiöse Gewalttäter. Da hinkt die islamische Tradition noch hinterher."
Moment, in wie weit hängt es von der gesellschaftlichen Grundvoraussetzung ab, ob man von der Handlung eines Gläubigen eine direkte Linie zu den Schriften ziehen kann?
Warum sollte eine Gewöhnung an die Demokratie das Faktum ändern können, dass Handlungsanweisung X in den Schriften steht?
Was Demokratie und Gesellschaft sicher können, ist Durck aufzubauen, um die Selbstwahrnehmung und Selbstdefinition einer Religion in eine aufgeklärte Richtung zu lenken. Dazu ist es aber notwendig, dass wir diesen Bedarf erkennen und uns nicht ständig mit Beschwichtigungen gemäß dem Credo "der Islam hat nichts mit dem Islam zu tun" selbst belügen. Damit ist keinem geholfen, erst recht nicht den Muslimen, und schon gar nicht den für die Aufklärung kämpfenden Kulturmuslimen.
Dass in Europa Menschen sterben, weil sie eine Religion kritisieren oder sich über sie lustig machen, sollte man nicht dem Zufall oder "mangelnder Gewöhnung" zuschreiben. Das halte ich für eine fatale Fehleinschätzung, aber vielleicht habe ich Sie hier einfach nur falsch verstanden.
"Ich kenne jeden einzelnen Unterschied, nur halte ich die für irrelevant, genauso irrelevant, wie die friedliche, schweigende und angepasste Mehrheit, die es in allen Religionen gibt."
Merkwürdig, wenn dem so wäre, dürfte religiöse Genitalbeschneidung ja
überhaupt kein Thema sein, denn schliesslich sind religiöse Ideen irrelevant
und die schweigende Mehrheit praktiziert diese nicht, nicht wahr?
"Ob sich der Abtreibungsarzt, der in den USA von Christen erschossen wurde, besser gefühlt hat, weil er von Christen und nicht von einem Moslem getötet wurde?"
Er sicher nicht. Aber die vielen tausend Ärtze, die in den USA NICHT täglich
von Christen erschossen werden, die wird es sicherlich sehr freuen. Also man sollte schon redlich bleiben in der Betrachtung: Selbst wenn man in den Schriften einen direkten Zusammenhang konstruieren könnte zwischen der religiösen Idee, dass Leben stets schützenswert ist und dem Mord (sic), verbleibt das Faktum, dass wir hier von einer Einzeltat sprechen und uns nicht tagtäglich mit Messerschwingenden Arztkillern auseinandersetzen müssen.
"Ich bleibe dabei: Wenn wir den demokratischen Deckel von der christlichen
Büchse der Pandora nehmen würden, wäre das Ergebnis vergleichbar mit dem IS"
Würde Ihre These nicht auch bedeuten, dass Sie die rassistischen Ideen des
Nationalsozialismus für irrelevant halten in der Beurteilung dessen, was für
spezifische Handlungen daraus erwachsen sind?
Sollte die These stimmen, dass spezifische Ideen in Religionen keine spezifischen Handlungen bewirken können, dann würde dies bedeuten, dass der IS rein zufällig auf die Idee gekommen ist, dass es eine prima Sache ist, Dieben die Hände abzuschlagen, Nicht-Muslimen eine Sondersteuer
aufzuerlegen, Frauen als Kriegsbeute anzusehen, usw.
Es wäre also rein zufällig genau das, was der Prohet dieser Religion
vorgemacht hat.
Ihre These würde zudem bedeuten, dass die Christliche Variante ähnlich grotesk wäre: Nämlich sich auf Jesus berufen, und dann Dieben die Hände abhacken, sich auf Jesus berufen und dann Nicht-Christen eine
Sondersteuer auferlegen, sich auf Jesus berufen und Frauen als Kriegsbeute
ansehen, usw. Gäbe es da Fragezeichen über den Köpfen der christlichen Gläubigen? Natürlich. Schliesslich kann im Gegensatz zum Mittelalter heutzutage jeder lesen. Und weil jeder lesen kann, weiss auch der IS, dass er theologisch durchaus plausibel handelt, was ihn fröhlich dazu veranlasst, seine grotesken Handlungen auch noch stolz der Welt zu präsentieren, anstatt, wie für gewöhnlich üblich in ideologisierten Tötungsszenarien, diese zu verheimlichen.
Und letztendlich, würde Ihre These nicht auch bedeuten, dass sich eine
Religion ad absurdum führt, wenn Ihre postulierten Ideen für die Gläubigen
keine Rolle spielten?
Nein, sorry. Das klingt nun wirklich nicht plausibel. Dass religiöse Ideen
spezifische Konsequenzen haben, sollte am Beispiel der religiösen
Genitalbeschneidung schnell klar werden. Sowohl die Idee als auch die
Konsequenzen dieser spezifischen Idee sind weder willkürlich noch
irrelevant.
"Glauben muss reine Privatsache werden, keine Staatsalimentierung für alte
Männer in Frauengewändern, für Schwulen- und Frauenhasser."
Hier bin ich wieder dabei und füge hinzu: ...alte Männer in Frauengewändern und lustigen Hütchen... :)
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Gibt es Quellen, die Jesus als warlord darstellen und darauf auch noch stolz sind?"
Ja, die gibt es. Jetzt werden überzeugte Christen aufstöhnen, aber ich habe die hochgelobte Bergpredigt, die von vielen (ahnungslos) als Beweis der Menschlichkeit Jesu angeführt wird, eingehend analysiert. Wenn man die unverständlichen Textstellen in einen Kontext mit der damaligen Realität in Judäa stellt, wird schnell klar, dass wir in Jesus einen Rädelsführer vor uns haben, der eine Truppe für seinen Kampf gegen die verhassten Römer zusammenstellen wollte.
Dass er letztlich (so die Figur Jesu wirklich historisch ist) keinen Erfolg hatte, ist möglichen Verrätern in den eigenen Reihen geschuldet und die Römer haben mit ihm kurzen Prozess gemacht.
Mohammed (so er je gelebt hat) war in Mekka in der gleichen Lage. Er agierte "tolerant" und zeigte Verständnis für Andersgläubige. Er versuchte aber keine Armee in Mekka aufzubauen, sondern floh nach Medina, wo er erfolgreicher wurde. Wäre der "Prophet" bereits in Mekka hingerichtet worden, wäre sein Vermächtnis vergleichbar dem von Jesus.
Umgekehrt heißt dies für mich: Hätte Jesus als Messias keinen Verrat aus den eigenen Reihen erlebt und seine Armee aus Freischärlern hätte gegen die Römer gekämpft, wäre seine Geschichte auch blutiger verlaufen. So, wie Simon Bar Kochba, der nach Jesus als jüdischer Messias gegen die Römer kämpfte und am Ende unterlag. Denn ein Messias sollte damals natürlich in erster Linie die Juden von der römischen Besatzung befreien.
Wie gesagt: Meine Bearbeitung der Bergpredigt könnte auch von einem IS-Kommandeur zur Rekrutierung von Kämpfern für die "Sache Gottes" skandiert werden. Erst die deutlich spätere Verklärung der Figur Jesus (325 in Nicäa und 381 in Konstantinopel) hat zu der heute üblichen positiven Bewertung der Bergpredigt geführt.
"Halten sie das Christentum in "Reinform" tatsächlich gleich problematisch wie den Islam?"
Eindeutig: Ja! Machtanspruch und Bildungsferne, Brutalität im Vorgehen und Absolutheit im Anspruch auf die Wahrheit, die Verdammung und Höllenandrohung für alle Abtrünnigen sind deckungsgleich. Zur Wahrheit gehört aber auch: Es gab und gibt in beiden "Lagern" auch positiv denkende Menschen, die sich im Grunde gegen das Fundament ihrer Religion stell(t)en.
Es gab sicher auch gute Nazis - Oskar Schindler ist das wohl berühmteste Beispiel. Er war beinharter Nazi, jedoch hatte er auch eine menschliche Seite, die nicht völlig erloschen war. Mein Vater war in der Wehrmacht, hatte den Russlandfeldzug mitgemacht und schrieb immer wieder in sein Tagebuch, dass er wieder und wieder niemanden erschossen hat. Man konnte auch befehlswidrig danebenschießen, weil er in den Soldaten der Gegenseite das gleich sah wie sich: einen ängstlichen Menschen, der nur zu seiner Familie zurückwollte. Trotzdem hat er nicht desertiert. Wie eben auch viele gute Christen und Muslime nicht (unbedingt) aus ihrer Religion desertieren.
"Moment, in wie weit hängt es von der gesellschaftlichen Grundvoraussetzung ab, ob man von der Handlung eines Gläubigen eine direkte Linie zu den Schriften ziehen kann?"
Da haben Sie mich missverstanden. Natürlich kann ich z.B. von der Homophobie heutiger Kardinäle oder Bischöfe (z.B. Bischof Overbeck) eine direkte Linie zur Bibel ziehen - genauso, wie ich die Handlungen eines IS-Kommandeurs direkt mit dem Koran in Verbindung bringen kann. Doch macht die Demokratie es einem deutschen Bischof unmöglich, öffentlich die Todesstrafe für Homosexualität zu fordern, wie dies z.B. christliche Bischöfe in Afrika tun. Und wenn wir bei uns solche Entgleisungen hören (kommt immer wieder vor), dann gibt es Feuer von säkularer Seite.
In muslimischen Ländern werden Imame, die den Tod für Schwule fordern jedoch nicht von der Staatsführung zurückgepfiffen, sondern dort werden die Schwulen "rechtsstaatlich" an Baukränen aufgehängt. Dies muss also etwas mit den unterschiedlichen Staatsformen bzw. mit den gesellschaftlichen Grundvoraussetzungen zu tun haben.
"Dazu ist es aber notwendig, dass wir diesen Bedarf erkennen und uns nicht ständig mit Beschwichtigungen gemäß dem Credo "der Islam hat nichts mit dem Islam zu tun" selbst belügen. Damit ist keinem geholfen, erst recht nicht den Muslimen, und schon gar nicht den für die Aufklärung kämpfenden Kulturmuslimen."
Völlig da core. Ich erweitere diesen Gedanken lediglich, indem ich sage, dass wir uns wegen keiner einzigen Religion belügen dürfen, denn jede Religion hat mit Religion zu tun. Wie hätte Jesus gesagt: "Welche Religion ohne Fehl ist, werfe den ersten Stein!"
"Merkwürdig, wenn dem so wäre, dürfte religiöse Genitalbeschneidung ja
überhaupt kein Thema sein, denn schliesslich sind religiöse Ideen irrelevant
und die schweigende Mehrheit praktiziert diese nicht, nicht wahr?"
Irrelevant heißt nicht, dass sie nicht mehr praktiziert werden. Man muss hier unterscheiden zwischen religiösen Befehlen zur bewussten Vernichtung alles Anderen und den internen Regeln. Extern ist die sogenannte Vernichtungsweihe, die göttlich gebietet alles Nichtreligiöse (bezogen auf die eigene Gruppe) zu vernichten (steht so im Koran UND in der Bibel), intern sind z.B. Kopftuchgebot, Schächten, Beschneidung, kein Sex vor der Ehe etc.
Mit "Ideen, die für die Mehrheit irrelevant sind" bezeichne ich die Vernichtungsweihe, die in der Tat nur von einer kleinen Minderheit praktiziert wird. Den weitaus meisten "reicht" die Beachtung der internen Regeln. Auch diese sind abzulehnen, weil sie Menschen ohne deren Einwilligung vereinnahmt und das geht nicht. Trotzdem ist die Motivlage eine andere. Genau deswegen ist es ja so schwer, Juden und Muslime von der Zwangsverstümmelung wegzubringen, während sie (vor allem Juden) völlig angepasst in unserer Gesellschaft leben.
"Würde Ihre These nicht auch bedeuten, dass Sie die rassistischen Ideen des Nationalsozialismus für irrelevant halten in der Beurteilung dessen, was für spezifische Handlungen daraus erwachsen sind?"
Die rassistische Idee ist DAS Kernelement aller Monotheismen und boshaften Ideologien. Der Nationalsozialismus hat gar nichts an Scheußlichkeiten neu erfunden. Er hat die braune Brühe so zusammengerührt, wie sie dem Volk nach erstem Weltkrieg und den Versailler Verträgen am besten geschmeckt hat. Den Judenhass hatte bereits das Christentum erfunden (seit Paulus), Luther hat ihn neu befeuert ("Von den Juden und ihren Lügen", ab Februar 2016 bei Alibri) und die Nazis haben das für ihre Propaganda ausgenutzt und großindustriell umgesetzt.
"Es wäre also rein zufällig genau das, was der Prohet dieser Religion
vorgemacht hat."
Nein, denn der Prophet hat genau das gemacht (so er je lebte), was die Menschen von einem starken Anführer erwarten. Abraham suchte nach "dem starken Gott", nicht nach einem barmherzigen. Dass Religionen in ihrem Beginn stets nur arme Follower an sich binden können, liegt genau daran: Der Schwache, Mittellose sucht den Stärkeren, den Gönner, der ihm das Blaue vom Himmel verspricht. Der Reiche braucht dies nicht - und kommt dementsprechend, folge ich Jesus, auch nicht ins Himmelreich.
Das führte dazu, dass man die Masse des Volkes stets arm hielt. Wie sang Reinhard Mey so treffend: "Der Minister nimmt flüsternd den Bischof beim Arm: Halt du sie dumm, – ich halt’ sie arm!
Das gesamte Almosen-Konzept des Islams würde in sich zusammenbrechen, falls der Großteil der Bevölkerung in islamischen Ländern plötzlich zu Reichtum käme. Aber so kann man mit einem Sack Mehl für Allah missionieren - und hat Erfolg damit.
"Ihre These würde zudem bedeuten, dass die Christliche Variante ähnlich grotesk wäre: Nämlich sich auf Jesus berufen, und dann Dieben die Hände abhacken, sich auf Jesus berufen und dann Nicht-Christen eine Sondersteuer auferlegen, sich auf Jesus berufen und Frauen als Kriegsbeute
ansehen, usw."
Natürlich gibt es diese Unterschiede. Dass wir unsere Kinder nicht mehr beschneiden, haben wir dem Judenhasser Paulus zu verdanken, weil er damit eine Abgrenzung erreichen wollte und auf die "wertvollere" Beschneidung der Herzen abhob.
Aber furchtbare Strafen für Diebe und angebliche Hexen (= kräuterkundige Frauen) kannte das Christentum zur Genüge. Ich habe hier einiges an Büchern über Hexenprozesse und die Gräuel der Inquisition sowie die Rechtsordnung im christlichen Mittelalter. Eine christliche Gesellschaft hat sich nicht besser verhalten, als der IS heute. Wobei heute furchtbarere Waffen zur Verfügung stehen und die Gräueltaten per Internet verbreitet werden.
Aber ist der Unterschied wirklich so schwer erkennbar? In den arabischen Stammesgebieten herrscht keine Demokratie, sondern eine beduinische Stammeskultur, in der der Patriarch das Sagen hat. Diese Kulturform wurde in Deutschland im Wesentlichen durch die Römer abgelöst durch einen geordneten Staat. Unser Rechtssystem basiert auf dem römischen Recht. Lange waren wir das römische Reich deutscher Nation. Darauf baute mit Hilfe griechischer Philosophie nach der Aufklärung die Demokratie auf, mit wechselvoller Geschichte und monarchischen Zwischenstationen, sowie einer furchtbaren Diktatur. Das - und die Unterstützung der westlichen Alliierten - hat bei uns zu einem Rechtsstaat geführt, der Handabhacken unnötig macht, weil wir einen neuen rechtsphilosophischen Zugang zur Bestrafung gefunden haben. Wir haben den angeblich "freien Willen" - ein Relikt aus religiösen Zeiten - abgelegt und verstehen Täter mehr und mehr als komplexe Produkte ihrer Person und ihrer Zeit, Möglichkeiten, Umgebung etc.
Dieses fortschrittliche Denken ist dem scharia-dominierten Islam fremd, da er glaubt, im Koran und der Sunna Gottes Wort zu lesen. Und das darf nicht evolvieren
Wir können uns gerne darauf einigen, dass es in Details Unterschiede gibt, doch bei genauer vorurteilsfreier Betrachtung tun sich die monotheistischen Weltreligion nicht viel. Ich möchte in keinem Gottesstaat leben, da mir der religiöse Einfluss selbst im angeblich säkularen Deutschland noch viel zu weit geht.
Little Louis am Permanenter Link
@ B. Kammerer am 7.10. um 13:22
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Frage mich aber, ob Differenzen socher Art (B.K. und David) angesichts der zunehmenden Defensivposition des säkularen Lagers nicht etwas an Relevanz verlieren (sollten) ?"
Ich zeige einmal eine extreme Position, die zu Kontroversen führen musste: Pegida! Warum? Pegida versammelte sich mehr oder weniger offen unter dem Banner des Christentums ("christliches Abendland"). Dies war die äußerlich sichtbare Gegenposition zur "Islamisierung". Was dachten also Muslime? "Ach, die wollen nur ihre eigene Religion gelten lassen, weil sie die für was besseres halten, wie damals die Kreuzritter..."
Denn Religionen zeichnen sich durch ihren Dualismus aus. Philipp Möller hat dies in seinem bekannten "Isch geh Schulhof" (sehr zu empfehlen) treffend ausgedrückt. Muslimische Schülerinnen, die mit seiner Gott ablehnenden Art nicht klarkamen, fragte ihn, ob er an Jesus glaube. Als er dies verneinte, war die Situation entspannt. Ist ja auch logisch: Dem Atheisten ist letztlich der Privatglaube eines Mitmenschen egal, doch der Jesusgläubige kann einen Moslem nie tolerieren, weil Mohammed ja behauptete, Jesus sei nicht Gottes Sohn. Dies sind einander ausschließende Grundpositionen, während der "Ungläubige" zu jedem Gläubigen kompatibel erscheint. Dies ist nur in monoreligiösen Gottesstaaten anders, die keine Religionsfreiheit kennen.
Daher denke ich, dass sich gerade säkulare Aktivisten leichter tun, wenn sie keinen Unterschied zwischen den Monotheismen machen und allen (auch allen anderen Religionen, also "der Religion") den gleichen Platz in der Gesellschaft zuweisen wollen: den im privaten Kämmerlein, von mir aus im privat betriebenen Clubhaus mit privat bezahlten Vorsitzenden etc.
Als gesellschaftlich relevante Größe, die sich in außertheologische Fragen einmischt, muss Religion entmachtet werden. Dies gelingt, wie ich finde, leichter, wenn wir keine Differenzierung vornehmen, um nicht in den Ruch einer Pegida zu gelangen, die mit ihrer christlichen Attitüde nur Öl in Feuer kippt(e).
Little Louis am Permanenter Link
q Bernd Kammermeier am 9.10. at high noon.
Klingt banal, aber ich kann Ihnen fast nur zustimmen.
Wie verfahren die Situation inzwischen(wieder) ist, kann man dem folgenden Text eines "Focus"- Journalisten entnehmen, allerdings nur, wenn glaubt,dass die Aussagen auch irgendwie repräsentativ für die gesamte deutsche "Islamszene" sind:
" Die helle Seite des Islam
Ist er gut oder böse? Kann er hierhergehören oder nicht? Für Zigtausende Muslime bedeutet Allah Frieden und Deutschland Heimat. Sechs Beispiele "
In Bezug zu "Pegida" allerdings sollten wir eventuell doch etwas differenzieren und deren konkrete (politische!) Agenda argumentativ zur Kenntnis nehmen. Vielleicht selbst da, wo exlizit auf "christegoistischer" oder banal "völkischer" Basis argumentiert wird. Viele hatten vielleicht bisher einfach nicht das Privileg oder die Möglichkeit zu tieferer oder differenzierter Information. Elitäre Überheblichkeit könnte sonst den Verdachterzeugen, selbst nur propagandistische Absichten zu verfolgen.
Da ist durch einen , wenn auch oft wohlmeinenden und einseitig Partei ergreifenden "Schulfunk- Journalismus" ist schon zu viel Vertrauen verspielt worden.
Little Louis am Permanenter Link
Nachtrag zum 09. 10. um 18:14
Gegen Ende (!) gibt erdann zu, dass es auch " berechtigte Sorgen gäbe, die man den Menschen nicht so einfach nehmen kann,weil momentan niemand weiß, was passieren wird" Aber zuvor wurden die Vorbringer solcher Sorgen drei spalten lang psychiatrisiert oder der Primitivität verdächtigt.
Fazit:
Fragwürdige spekulative Wissenschaft im Dienste des politischen Meinungskampfes.
Könnte das auch auf die Überschrift des hier diskutierten Textes zutreffen, insbesondere, da ich kein Fragezeichen erkennen kann?
(Ich beziehe mich auf einen Artikel in meiner Tageszeitung am 9.10.2015)
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Ich wollte ja gar nicht auf Pegida im Detail eingehen. Ich kenne natürlich auch den bunt zusammengewürfelten Haufen, den ein dumpfes Bauchgefühl "besorgt macht".
Mir ging es um den nach außen transportierten Begriff des christlichen Abendlandes und die christliche Infiltration der Gruppe. Dass hier viele Tertiärfarben eingemischt wurden, ist ja klar. Muslime wird primär gestört haben, dass das Christentum als etwas Besseres hingestellt wurde.
Deshalb hätte ich anstelle von Christian Wulf nicht nur gesagt, dass der Islam zu Deutschland gehört, sondern auch, dass er gemeinsam mit allen anderen Religionen Privatsache ist und keinen Anspruch auf Allgemeinverbindlichkeit hegen darf. Real existierende Religionen werden diesen Anspruch jedoch freiwillig nie aufgeben.
Daher der Kampf der säkularen Welt, der den Islam in die Riege der Monotheismen in Deutschland einordnet, aber auf niedrigerem Niveau - ohne Anspruch auf Unterrichtung seines Vereinsprogramms in Kitas oder Schulen, ohne automatische Aufnahme in den Verein durch Taufe oder Beschneidung, ohne Alimentierung durch den Steuerzahler, ohne Anspruch auf Teilhabe in allen möglichen Ethikkommissionen (ausgerechnet ETHIK!) oder Rundfunkräten, keine automatische Repräsentanz in politischen Gremien etc.
Kein Briefmarken- oder Hundezüchterverein genießt diese Privilegien. Warum ausgerechnet die Vereine, deren Mitglieder an Geister im Weltraum und jungfräuliche Mütter glauben, an himmelfahrende Zombies oder geflügelte Pferde, an Engel und ein Jenseits?
Little Louis am Permanenter Link
@ B.K. am 11.10. um 16:16
Akzeptiert.
David am Permanenter Link
"Frage mich aber, ob Differenzen socher Art (B.K. und David) angesichts der zunehmenden Defensivposition des säkularen Lagers nicht etwas an Relevanz verlieren (sollten) ?"
Nun, mir scheint, dass allein zwecks reiner Erkenntnisgewinnung diese Frage Relevanz hat. Entweder alle Ideologien sind gleich oder eben nicht. Entweder alle Religionen sind gleich oder eben nicht. Entweder alle Monotheismen sind gleich oder eben nicht.
Wenn also fröhlich vorausgesetzt wird, dass alle Religionen bzw Monotheismen gleich sind, dann steht zunächst einmal eine Behauptung im Raum, deren Hinterfragung durchaus berechtigt ist, wenn man sich den allumfassenden und pauschalisierenden Charakter einer solchen Behauptung vor Augen führt.
Als nächsten Schritt könnte die Erkenntnis dann zumindest die Präzision fördern, anstatt sich in Verallgemeinerungen zu verlieren oder gegen Windmühlen und ausweichende Relativierungen anzutreten.
"Daher denke ich, dass sich gerade säkulare Aktivisten leichter tun, wenn sie keinen Unterschied zwischen den Monotheismen machen und allen (auch allen anderen Religionen, also "der Religion") den gleichen Platz in der Gesellschaft zuweisen wollen"
Die beiden Sachverhalte im Nebensatz sind keine sich gegenseitig voraussetzende Notwendigkeit. Ich meine, man kann durchaus die Unterschiede aufzeigen, aber gleichzeitig allen Religion den gleichen (privaten) Platz in der Gesellschaft zuweisen wollen. Vielleicht sogar grade deshalb und mit eben diesem Argument, denn schliesslich zeigt man auf die Willkürlichkeit und die damit verbundenen Probleme.
Sie meinen, eine Nicht-Unterscheidung zwischen den Monotheismen würde dem sekularen Aktivisten helfen und in gewisser Weise teile ich Ihre Auffassung. Gleichsam könnte man aber auch behaupten, dass sie schade, denn mit dem exakt identischen Argument (Gleichheit) könnte Religion X die rechtliche Anpassung an die vom Staat priviligierte Religion Y fordern.
Sie sehen, das Argument ist zweischneidig, ganz abgesehen davon, dass die Handlungsmaxime selbstverständlich nicht die Erkenntnisgewinnung überfahren sollte. Aber das hatten Sie sicher auch so nicht gemeint.
David am Permanenter Link
"Wir können uns gerne darauf einigen, dass es in Details Unterschiede gibt, doch bei genauer vorurteilsfreier Betrachtung tun sich die monotheistischen Weltreligion nicht viel."
Nun, mir scheint, das kommt auf die Perspektive an. Es ist ähnlich wie bei Gemälden, wenn wir im Museum stehen. Je weiter man von zwei Ähnlichen entfernt steht, desto weniger nimmt man die Unterschiede wahr. Sie bevorzugen die Betrachtung aus der Entfernung, die Meta-Ebene. Ich stehe ziemlich nah vor zwei nicht sehr guten Bildern, erkenne aus dieser Perspektive aber dennoch bzw grade deshalb eklatante Unterschiede in der Qualität.
MMn überbewerten Sie die Ähnlichkeiten und unterbewerten die Unterschiede, nicht zuletzt den autoritativen Charakter der Islamischen Ideen und die Auswirkungen, die ein als warlord und Politiker rezipierter Prophet mit sich bringt.
Unten noch einige kleine Anmerkungen zu Ihren Ausführungen als Anregung.
"Ja, die gibt es. ... "
Moment mal, das sind aber schon recht kühne Behauptungen, die Sie hier aufstellen: Jesus als Judäischer Rädelsführer, womöglich von der Judäischen Volksfront frei nach Monthy Python? ;)
Selbst vorausgesetzt, dies entspräche den Fakten bzw der Quellenlage, müssten wir dennoch feststellen, dass sich seit mindestens 1700 Jahren ein anderes Bild festgesetzt hat. Dieses Bild bzw diese Ideen sind das, was den Gläublingen kommuniziert und angenommen wird und folglich das, was als Referenz anzusehen ist. Wir stellen also rein objektiv fest, dass KEIN jüdischer warlord kommuniziert und rezipiert wird. Ob er es geworden WÄRE, wenn die Bedingungen anders gewesen wären, ist dabei nur Spekulation und in diesem Zusammenhang unerheblich, wenngleich ich gerne zugebe, dass dies aus historischer Sicht ein sehr interessanter Gedanke ist.
Dazu steht im Gegensatz ein islamischer Prophet, der, wie Sie richtigerweise anmerken, softcore begann, sich dann aber zum hardcore wandelte mit all den Ideen, die zu einem mittelalterlichen Politiker und warlord aus einer arabischen Stammeskultur dazugehören. Dieser Werdegang wurde in der islamischen Religionsgeschichte weder versucht zu retuschieren noch zu beschönigen, nein, man war stolz auf dieses martialische Verhalten und kolportierte und rezipierte es genau so, bis heute.
Wie Sie aus diesen beiden unterschiedlichen Sachverhalten ein "genauso" konstruieren wollen, ist mir schleierhaft.
"Machtanspruch und Bildungsferne, Brutalität im Vorgehen und Absolutheit im Anspruch auf die Wahrheit, die Verdammung und Höllenandrohung für alle Abtrünnigen sind deckungsgleich."
Da bin ich nur teilweise dabei. Verdammung/Höllenandrohung ist sicherlich in beiden Religionen nahezu identisch, wobei die bildliche Ausmalung der Tortur im Quran/hadith schon Splattermovie-Niveau ereicht und am christlichen Höllenszenario vorbeizieht. Allerdings: der Machtanspruch, die Brutalität, die sich in den spezifischen Ideen manifestiert und selbst der Absolutheitsanspruch ist mMn ganz klar und eindeutig von unterschiedlicher Intensität. Theoretisch könnten wir jetzt jede einzelne Idee durchgehen und bewerten, aber das ist hier sicherlich der falsche Ort, deshalb nur ein Beispiel: die Idee, der Quran sei das letzte, unverfälschte und einzig wahre Wort Gottes ist an grotesker Anmassung und latenter Aggression unübertroffen.
"Natürlich kann ich z.B. von der Homophobie heutiger Kardinäle oder Bischöfe (z.B. Bischof Overbeck) eine direkte Linie zur Bibel ziehen - genauso, wie ich die Handlungen eines IS-Kommandeurs direkt mit dem Koran in Verbindung bringen kann..."
Können Sie diese Linie auch zu den Evangelien bzw dem chrtl. Propheten ziehen? Können sie eine Linie zum christlichen Propheten ziehen, wenn der Bischop zum Kampf gegen die "Ungläubigen" aufruft? Könnnen Sie eine Linie ziehen, wenn er unter Berufung auf Jesus fordert, Dieben jeweils einen Fuss und einen Hand abzuhacken, eine Sondersteuer für Ungläubige einzuführen, den militärischen Kampf zur Erweiterung der "Christenheit" als oberste Frömmigkeit zu lobpreisen, Gefangenen die Köpfe abzuschneiden oder Frauen als Kriegsbeute und Sklavinnen zu betrachten? usw usw
Wie gesagt, dass es auch im Christentum eine Menge schlechter Ideen gibt, halte ich für zutreffend. Die Idee der Ausgrenzung Homosexueller als Sünder nach Paulus ist eine solche. Wir müssen aber auch feststellen, dass hierzu von Jesus selbst keine Bewertung geschweige denn Vorgabe zur Bestrafung bzw Handlungsanweisung kolportiert wird.
Wie Sie aus diesen unterschiedlichen Ideen ein "genauso" konstruieren wollen, ist mir auch hier schleierhaft.
"Irrelevant heißt nicht, dass sie nicht mehr praktiziert werden. Man muss hier unterscheiden zwischen religiösen Befehlen zur bewussten Vernichtung alles Anderen und den internen Regeln...."
Diese Unterteilung erscheint mir doch etwas künstlich konstruiert. Mir wird auch nicht klar, was Sie damit sagen wollen im Hinblick auf meinen Vorschlag, die unterschiedlichen Ideen als Unterscheidungskriterium heranzuziehen. Fakt ist, und ich denke, da gehen Sie mit, die monotheistischen Religionen beinhalten Ideen, die sich zum einen auf die eigene Person als Gläubling beziehen, Ideen die sich auf Nichtgläublinge beziehen, und Ideen, die sich auf beide Gruppen beziehen. Gleichwohl sind es aber allesamt "Ideen". Und Ideen haben Konsequenzen. Das Beispiel der Genitalbeschneidung verdeutlicht diesen Gedanken. Er hält sich übrigens aus verschiedenartigen Gründen so standhaft, nicht zuletzt wegen der so praktischen Möglichkeit, die realen Folgen fröhlich verleugnen zu können mit den bekannten "Argumenten".
Ein Beispiel aus der Gruppe der Ideen, die sowohl Gläublinge als auch Nichtgläublinge betreffen, sind die zahlreichen Stellen im Quran/Hadithen, die gegen Ungläubige wettern und das Verhalten der Gläublinge zu ihnen definieren. Ich räume ein, dass es solcher Art auch in der Bibel gibt, aber weit aus weniger autoritativ und vor allem nicht aus dem "Mund" des christlichen Propheten. Grade letzteres halte ich für einen wichtigen Unterschied, wenn man sich die Perspektive eines Gläublings vorstellt.
"Die rassistische Idee ist DAS Kernelement aller Monotheismen und boshaften Ideologien. Der Nationalsozialismus hat gar nichts an Scheußlichkeiten neu erfunden."
Das sehe ich ähnlich und ich würde meinen, ein gutes Argument für meinen Vorschlag, dass spezifische Ideen spezifische Konsequenzen haben. Wobei: Selbst hier erkenne ich graduelle Unterschiede zwischen den drei Religionen in der Art der Diffamierung des "Anderen".
"Nein, denn der Prophet hat genau das gemacht (so er je lebte), was die Menschen von einem starken Anführer erwarten..."
Diese Einschätzung ist sicher richtig, scheint aber nicht auf meinen Einwand einzugehen: Wenn spezifische Ideen keine spezifischen Folgen hätten, dann wäre das Verhalten, was der IS (oder auch Saudi Arabien) an den Tag legt nur rein zufällig genau das, was der Prophet vorgemacht hat. Dem ist freilich nicht so. Die Ideen sind 1:1 dem Handeln des im Quran/Hadithen beschriebenen Proheten entnommen. Würde im Quran/Hadith Dieben die Augen ausgestochen, würde der IS/Saudi Arabien nicht Hände abhacken sondern Augen ausstechen.
"Aber furchtbare Strafen für Diebe und angebliche Hexen (= kräuterkundige Frauen) kannte das Christentum zur Genüge...Eine christliche Gesellschaft hat sich nicht besser verhalten, als der IS heute...."
Wo hat denn Jesus Körperstrafen gegen Diebe und Hexen formuliert? Ist der Unterschied, den ich meine, wirklich so schwer zu erkennen?
"Dieses fortschrittliche Denken ist dem scharia-dominierten Islam fremd, da er glaubt, im Koran und der Sunna Gottes Wort zu lesen. Und das darf nicht evolvieren"
Volle Zustimmung. Interessanterweise legen Sie hier sogleich einen weiteren nicht unwesentlichen Unterschied offen. Die spezifische Idee der Scharia, eines "göttlichen" Strafgesetzbuches, die in dieser Form nicht vom christlichen Propheten aufgestellt wird.
Little Louis am Permanenter Link
@ david am 6.10. um 16:36
Zu: ".. Ist der christlicher Fundamentalismus genau so ein Problem wie der islamische? Nein. Klingt gemein, ist aber leider so. Die Realität ist kein Wunschkonzert.."
David am Permanenter Link
"Nun kann man aber durchaus behaupten, dass der christliche Fundamentalismus in der Vergangenheit(auch der unseren) in derTat genauso ein Problem war, wie der vergangene und heutige) islamische."
Nun, behaupten kann man viel. Ich behaupte ja auch, und zwar dass dem nicht so ist, also nicht "genauso" im Sinne von identisch/gleich. Weder in der Vergangenheit und schon gar nicht in der Gegenwart.
Warum ich dafür gute Gründe zu haben meine, habe ich oben beschrieben. Die unterschiedlichen Ideen und Konzepte in den Fundamenten. Dass sich die Monotheistischen Religionen aufgrund ihres alleinigen Wahrheitsanspruches in Monster verwandeln können, halte ich ebenfalls für erwiesen. Aber diese Monster sehen nicht gleich aus und haben weder alle gleichlange Zähne noch die gleichen Ansprüche oder Vorlieben. Diese Feststellung halte ich zumindest für interessant, wenn nicht sogar wichtig.
Little Louis am Permanenter Link
@ david um 12:06 am 18.10
Natürlich bin ich auch für Differenzierung in der akad. Debatte. Würde ich mich sonst hier herumtreiben?
Und wer dann die ausdifferenzierte theologische Fachdebatte nicht kennt, steht dann irgenwie "auf dem Schlauch" denkt resignierend " Jetzt kenn ich mich überhaut nicht mehr aus " und hält "die da oben" halt alle irgenwie für Betrüger.
Davi am Permanenter Link
Da bin ich bei Ihnen. Andersartigkeit festzustellen birgt immer die Gefahr der Ausgrenzung. Das gilt für Ethnien, Nationen, Familien, Personen, Geschlechter, Alter, Vorlieben usw usw.
Diese Erkenntnis darf freilich nicht als Begründung herhalten, dass wir faktisch bestehende Unterschiede bewusst und besseren Wissens ignorieren oder gar leugnen.
Die Problematik, die genau dieser Sachverhalt des fröhlichen "Gleichmachens" aufwirft, zeigt sich an dem hier vor einigen Tagen vorgestellten Interview mit Khourchide und Samad.
Weil Khourchide von der so praktischen Prämisse ausgeht, dass alle Religionen bzw Christentum und Islam gleich sind, anwortet er auf die Frage, wie man mit dem Gewalt- und Intoleranzpotential im Islam umgeht, sinngemäß "so wie im Christentum". Seine falsche Prämisse blockt damit den Fortschritt und verhindert zumindest auf dieser Ebene somit einen vernünftigen Lösungsansatz.
P.S.: Zum Glück scheint mir Herr Khourchide ein ausgesprochen redlicher und ehrlicher Mensch zu sein, gefangen im religiösen Denkkorsett einerseits aber andererseits durchaus rational erkennend, dass der Islam ein Problem hat.
Little Louis am Permanenter Link
Zusatz zu 27.9 um15:26
Um keine weiteren Missverständnisse aufkommen zu lassen:
L.L.