Ein Profil der Konfessionslosen in den Vereinigten Staaten

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Auch in den USA stellen sogenannte "religiös Ungebundene" mittlerweile eine demographische Gruppe von ansehnlicher Größe: 28 Prozent geben an, sich keiner Religion zugehörig zu fühlen. Eine neue Befragung des Pew Research Institute beleuchtet die Überzeugungen der Ungebundenen und lässt auf ein breites Meinungsspektrum innerhalb dieser Gruppe schließen.

Zunächst ein Wort zur Datenbasis: Anders als in Deutschland gibt es in den Vereinigten Staaten kein Finanzamt, das Kirchensteuern einzieht. Somit gibt es auch keine zentrale staatliche Autorität, der gegenüber man sich zu einer Konfession (oder der Konfessionslosigkeit) bekennen müsste. Wenn es heißt, dass sich 28 Prozent der US-Bevölkerung als religiös ungebunden ("religious nones") bezeichnen, dann ist das also eine Selbstauskunft. Hinzu kommt, dass die Vereinigten Staaten sehr viel als Kirche anerkennen, inklusive der Kirche der Körpermodifizierungen und des Satanic Temple. Mitglied einer Kirche zu sein und sich als religiös ungebunden zu identifizieren ist in den USA also nicht zwingend ein Widerspruch.

Die religiös Ungebundenen werden im weiteren Verlauf auch als "Konfessionslose" bezeichnet, weil dieser Begriff ein ähnlich weites Feld verschiedener Lebensweisen und Überzeugungen abbildet. 17 Prozent der religiös Ungebundenen identifizieren sich in dieser Umfrage als atheistisch, 20 Prozent als agnostisch. Die Mehrheit, 63 Prozent, bezeichnet sich als "nichts Spezifisches" ("nothing in particular", NIP).

Ziviles und politisches Engagement der Konfessionslosen

In Summe sind Konfessionslose zivil und politisch weniger aktiv als religiöse US-Amerikaner*innen, doch existieren starke Disparitäten zwischen denjenigen, die sich als atheistisch oder agnostisch bezeichnen und denjenigen, die sich als "nichts Spezifisches" identifizieren. Während atheistische und agnostische Menschen etwa genauso engagiert sind wie religiöse und im Schnitt einen höheren Bildungsabschluss aufweisen, ist es bei den NIPs genau umgekehrt: Sie sind weniger aktiv und haben im Mittel einen geringeren Bildungsabschluss als religiöse Menschen.

Interessant ist hier besonders die Frage nach dem Wahlverhalten bei den Kongresswahlen 2022. Insgesamt gingen 51 Prozent der religiösen US-Amerikaner*innen zur Wahl, aber nur 39 Prozent der Konfessionslosen. Die niedrigere Wahlbeteiligung geht allerdings beinahe ausschließlich auf das Konto derjenigen, die sich als "nichts Spezifisches" bezeichnen, denn: Genau die Hälfte der atheistischen und immerhin noch 49 Prozent der agnostischen Menschen gingen 2022 zu den sogenannten Midterms.

Es lohnt, diesen Datenpunkt etwas genauer zu betrachten. Die Midterms weisen historisch eine geringere Wahlbeteiligung auf, weil das höchste Amt der Nation erst in zwei Jahren wieder zur Wahl steht. Dennoch war die Wahlbeteiligung 2022 mit 46,8 Prozent exorbitant, verglichen mit den letzten 50 Jahren, 2018 ausgenommen. Das ist deswegen von Relevanz, weil Angehörige religiöser Gruppen statistisch gesehen eine höhere Wahlbeteiligung aufweisen. 2022 beispielsweise waren 99 Prozent aller Evangelikalen, aber nur 79 Prozent der Konfessionslosen als Wähler*in registriert. Zusammengenommen lässt dies darauf schließen, dass atheistische und agnostische Menschen politisch ähnlich aktiv sind wie religiöse, während die NIPs stark hinterherhinken – nur 32 Prozent gingen 2022 zur Wahl. Eine intensivere Auseinandersetzung mit solchen Statistiken könnte Hinweise darauf liefern, warum nicht kleine Teile beider Seiten des politischen Tauziehens die kommende Wahl als eine Art Schlacht um die Seele der Vereinigten Staaten betrachten.

Spiritualität unter Konfessionslosen

Etwa die Hälfte der Konfessionslosen (49 Prozent) bezeichnet sich als spirituell oder gibt an, dass Spiritualität eine große Rolle im eigenen Leben spiele. Etwas mehr, nämlich 54 Prozent, besitzen Objekte (zum Beispiel Hausaltäre, Schmuck oder Kristalle) oder haben Körperschmuck – Piercings oder Tattoos – mit spiritueller Bedeutung.

Nur drei respektive acht Prozent der Atheist*innen und Agnostiker*innen geben an, dass Spiritualität eine große Rolle in ihrem Leben spielt. Interessanterweise bekunden jedoch 20 Prozent der atheistisch und 41 Prozent der agnostisch Eingestellten, dass sie sich selbst als spirituell betrachten.

Doch was bedeutet "Spiritualität" für religiös Ungebundene? Die höchste Zustimmung erhält hier die Aussage: "Eine Verbindung mit meinem 'wahren Selbst' herstellen". Für drei Viertel der spirituellen Konfessionslosen ist das ein Kernaspekt ihrer Spiritualität. 70 Prozent stimmen der Aussage zu, eine offene Weltsicht sei von zentraler Bedeutung. Für 63 Prozent bedeutet Spiritualität eine Verbindung mit der Natur. 34 Prozent der spirituellen Konfessionslosen bekunden, dass eine Verbindung mit Gott notwendiger Teil ihrer Spiritualität sei. Noch weniger, nur neun Prozent, sagen das über das Befolgen einer religiösen Doktrin.

Es lässt sich feststellen, dass Spiritualität für die Konfessionslosen der Vereinigten Staaten eine individuelle Angelegenheit zu sein scheint, die nicht selten animistische Tendenzen aufweist. Es geht um ein offenes Mindset, um Wachstum als Person und um Verbindung mit einer (nicht zwingend göttlichen) höheren Kraft oder der Natur. Explizite Dogmen und externe Weisungen spielen eine vergleichsweise geringe Rolle.

Diese "Individuation" zeigt sich auch in den Moralvorstellungen der Konfessionslosen. Nur jede*r achte ist der Meinung, religiöse Überzeugungen seien eine gute Grundlage, um richtig und falsch zu unterscheiden. Stattdessen geben sich Empathie und Ratio hier die Hand: 83 Prozent handeln aus einem Bedürfnis heraus, andere Menschen nicht zu verletzen, 82 Prozent nutzen die Logik, um das Richtige zu tun.

Die Einstellungen zur Religion sind differenziert

Die religiös Ungebundenen in den USA sind untereinander gespalten, wenn es um die Frage geht, wie groß der positive Einfluss von Religionen auf die Gesellschaft ist. Sie sind sich allerdings einig darin, dass sie einen gewissen Schaden verursachen. 43 Prozent sind der Meinung, Religion schade mehr als sie nütze, 41 Prozent sehen positive und negative Auswirkungen im Gleichgewicht. Lediglich 14 Prozent sind der Meinung, Religion sei nettopositiv für die Gesellschaft.

Wenig überraschend sind Atheist*innen am skeptischsten gegenüber den Einflüssen der Religion, 73 Prozent ziehen hier eine negative Bilanz. Eine knappe Mehrheit der Agnostiker*innen, 51 Prozent, schließt sich dem an. Unter denjenigen, die sich als "nichts Spezifisches" einordnen, findet sich dagegen beinahe eine Mehrheit für eine neutrale Bewertung der Religion: 48 Prozent der NIPs sagen, religiöse Entitäten seien gleichermaßen nützlich wie schädlich. Insgesamt werden die Befragten mit zunehmendem Alter einer ausgeglichenen Bewertung der Religion gegenüber aufgeschlossener.

Es zeigt sich unter Konfessionslosen aber auch eine Akzeptanz gegenüber der Religion als sinnstiftendem Element und moralischem Motivator. 53 Prozent der Konfessionslosen denken, Religion fordere Menschen dazu auf, andere gut zu behandeln. 58 Prozent sagen, Religion könne sinnstiftend auf den Menschen wirken und damit die Gesellschaft voranbringen.

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