Zur Anhörung in der "Ampel"-Kommission

Humanistisches zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs

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Im Rahmen der von der Bundesregierung eingesetzten "Kommission für reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin" wurden dem Humanistischen Verband Deutschlands (HVD) Leitfragen vorgelegt. Sie beziehen sich auf seine eingereichte Stellungnahme zur möglichen Abschaffung der Paragrafen 218 ff. aus dem Strafrecht, die von der Kommission erbeten worden war. Diese lädt nunmehr dazu ein, vorgeschlagene Neuregelungen des Schwangerschaftsabbruchs am 23. November in einem Anhörungsverfahren zu erläutern.

Der Humanistische Verband Deutschlands tritt für weltliche Werte wie Verantwortung, Selbstbestimmung, Achtsamkeit, Solidarität und Toleranz ein. Mit seinen praktischen Arbeitsfeldern unterbreitet er vielfältige Angebote für Menschen aller Lebensalter, sozialen Schichten und Lebenslagen, wozu auch die Schwangerschaftskonfliktberatung gehört. Die vertiefenden Leitfragen der Kommission beziehen sich einleitend auf die Erfahrungen des HVD mit bisherigen stigmatisierenden Effekten und mit dem erschwerten Zugang zur medizinischen Versorgung sowie auf seine Kernanliegen. Dazu heißt es in der bereits eingereichten HVD-Stellungnahme: "Der auferlegte Makel der Rechtswidrigkeit stellt eine moralische Verurteilung des Schwangerschaftsabbruchs dar. Es ist zu befürchten, dass dies zu einer sich weiter verschlechternden Versorgungslage zulasten unerwünscht Schwangerer beiträgt." Der HVD setzt sich für eine Entstigmatisierung und Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs ein: "Grundsätzlich sind gegen die Selbstbestimmungsrechte von Schwangeren gerichtete Verbotsdrohungen und moralische Verurteilungen fehl am Platz." Alle Bestimmungen, das heißt Fristen-, Beratungs- und Indikationsregelungen gehörten auf den Prüfstand und könnten – inklusive Sanktionen bei Zuwiderhandeln – "außerhalb des Strafrechts geregelt werden (in einem Sondergesetz, reformierten Schwangerschaftskonfliktgesetz oder ergänzend im Arztrecht)."

HVD für erweiterte bedingungslose Fristenregelung bis zu fünf Monaten

Die derzeitige, seit 1995 geltende Rechtslage mit den Strafrechtsparagrafen 218 /218a ff. basiert auf dem einschlägigen Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1993. Bei rund 95 Prozent aller jährlich rund 100.000 vorgenommenen Abbrüche innerhalb der 12-Wochenfrist mit verpflichtender Beratung, die zwar nach Paragraf 218a StGB dann nicht strafverfolgt werden, bleibt jedoch die prinzipielle Rechtswidrigkeit des Paragrafen 218 StGB erhalten. Laut HVD entfiele somit für die Mehrheit von 95 Prozent unerwünscht Schwangeren der regelhafte Anspruch auf eine Krankenkassenleistung, der gemäß Paragraf 24b Sozialgesetzbuch nur für "nicht rechtswidrige" ärztliche Abbrüche gilt. Bei der Novelle solle eine sinnvolle Erweiterung des derzeitigen Dreimonatszeitraums erfolgen – dieser speise sich "aus vormodernen sowie religiösen Vorstellungen einer Beseelung des werdenden Lebens circa 90 Tage nach der Empfängnis." In Betracht zu ziehen sei vielmehr "ein zunehmender Schutzstatus des entwickelten Fötus etwa von Beginn der 21. Schwangerschaftswoche".

Zudem bittet die Kommission um eine Bewertung der Beratungspflicht und um eine Empfehlung zur gegebenenfalls erforderlichen Anpassung der bisherigen medizinischen Indikation. Eine wesentliche Aussage des HVD dazu in seiner Stellungnahme lautet: "Zuvorderst ist die reproduktive Selbstbestimmung von Frauen bedingungslos (das heißt ohne Beratungspflicht beziehungsweise Bedenkzeit) in einer erweiterten Frist über die geltenden 12-Wochen-Regelung hinaus zu gewährleisten. Diese sollte auf begründbare 20 Wochen (maximal 22 Wochen) heraufgesetzt werden", das heißt von drei auf fünf Monate. Als Begründung wird ausführlich die embryonale Schrittfolge hin zum fetalen Leben bis zur Menschwerdung dargestellt: "Diese unterliegt zwar einer Prozesshaftigkeit, hat dabei aber in der 20.–22. Schwangerschaftswoche einen besonderen qualitativen Entwicklungsstand erreicht", der insbesondere die Empfindungsfähigkeit des Fötus aufgrund seiner Gehirnfunktionen betrifft. Aus Erwägungen einer humanistischen Ethik wären für ihn anschließend an die erweiterte Frist Schutzbestimmungen zu erlassen. Dazu sei eine embryopathische Indikation neu einzuführen – in Ergänzung zur beizubehaltenden medizinischen Indikation, da diese derzeit die prinzipielle Rechtswidrigkeit nur bei gesundheitlicher Gefährdung der Schwangeren beziehungsweise Mutter aufhebt.

Humanistisches Beratungskonzept – auch zu Spätabbrüchen aufgrund pränataler Diagnostik

Eine besondere Herausforderung stellen die Spätabbrüche bei durchaus gewünschten und geplanten Schwangerschaften dar, die ab der 21. Schwangerschaftswoche ausschließlich aufgrund pränataler Diagnostik erwogen werden. Dazu wäre gemäß HVD eine Lösung mit Beratungskonzept zu entwickeln und eine Indikation aufgrund schwerwiegender Schädigungen des Fötus einzuführen. Zur Begründung heißt es: "Im geltenden Gesetz von 1995 wurde die embryopathische Indikation (früher auch eugenische genannt) als unzulässig diskriminierend juristisch abgeschafft. Aber faktisch stellt eine pränatal diagnostizierte Behinderung des Fötus nach wie vor ein zentrales Motiv bei der Entscheidung insbesondere für späte Abbrüche dar." Angebote in dieser Konfliktlage müssten so ausgestaltet sein, dass Klient*innen dadurch unterstützt und entlastet werden, wenn es um die Frage einer (zur Spätabtreibung nötigen) Tötung im Uterus ginge.

Dem Thema Beratung hat sich der HVD in einem eigenen Absatz "Erweiterung der Beratung" gewidmet. Darin heißt es: "Allen Schwangeren und Paaren, die einen Schwangerschaftsabbruch erwägen, soll ein umfassendes psychosoziales Beratungsangebot zur Verfügung stehen, welches sie freiwillig nutzen können. Die Gespräche sollen ergebnisoffen sein, Wege eröffnen und das Ziel haben, eine selbstbestimmte Entscheidung treffen zu können. Dazu umfassen sie die Aufklärung über verschiedene Formen des Schwangerschaftsabbruchs, über mögliche physiologische und psychologische Belastungen sowie gegebenfalls Alternativen wie Adoption, Pflegefamilien, anonyme Geburt und Mutter-Kind-Einrichtungen."

Säkular-frauenrechtliche Positionen des Juristinnenbundes

Eine neue Lösung außerhalb des Strafrechts sollte dem heutigen biomedizinischen Kenntnisstand und dem zunehmend säkularen gesellschaftlichen Wertewandel Rechnung tragen. Praktisch gelebter Humanismus bedeutet, das Selbstbestimmungsrecht der Frau hinsichtlich ihrer Lebensführung zu unterstreichen, jedoch auch die Abwägung des Wertes eines entstehenden Lebens anzuerkennen. Die (medizin-)ethische und wissenschaftlich fundierte Position des HVD kommt bezüglich der embryonalen Entwicklung zu folgender Schlussfolgerung: "Die ethische Zuschreibung, es mit einem Lebewesen zu tun zu haben, welches als leidens- und schädigungsfähig angesehen werden und in einer verfassungsrechtlichen Güterabwägung Berücksichtigung finden kann, hängt vor allem von einer fortgeschrittenen neuronalen Verschaltung seiner Großhirnrinde ab."

Der Deutsche Juristinnenbund (djb) hat sich in seiner von der Kommission angefragten Stellungnahme – wie der HVD – für eine Neuregelung außerhalb des Strafrechts ausgesprochen. Er versteht sich als frauenpolitischer Verband, in dem sich progressive Juristinnen zusammengeschlossen haben, die sich für eine Fortentwicklung des Rechts mit dem Ziel einer geschlechtergerechten Gesellschaft einsetzen. Der djb tritt ebenfalls für eine bedingungslose Fristenregelung ein: Allein maßgeblich sei dabei – anders als in der ethischen Position des HVD – eine außerhalb des Uterus bestehende Überlebensfähigkeit des Fötus. Diese müsse erst gegeben sein, bevor es des "Schutzes in Form der Unzulässigkeit eines Schwangerschaftsabbruchs" bedürfe. Als möglicher Endzeitpunkt, "so dass Abbrüche bis zum Ablauf einer entsprechenden Frist zulässig wären" – das heißt über eine 5-Monatsfrist hinaus – wird vom djb die 25. Schwangerschaftswoche genannt. Als Begründung verweisen die Juristinnen auf die "Rechtsposition des Fötus", die erst mit dessen eigenständiger Überlebensfähigkeit etwa ab diesem Entwicklungsstand "nahe an die des geborenen Kindes" heranrücke. Weiter heißt es in der Stellungnahme des djb: "Nach Ablauf der entsprechenden Frist sollten Schwangerschaftsabbrüche nur bei medizinischer Indikation zulässig sein." Auch ohne Vorliegen einer solchen soll es aber keine gesetzliche Sonderregelung geben, vielmehr seien dann "Ärzt*innen, die gegen die Fristenregelung verstoßen, nach dem ärztlichen Berufsrecht zu sanktionieren". Der Juristinnenbund gibt als seinen Ausgangspunkt an, dass er sich "am reproduktiven Selbstbestimmungsrecht und der körperlichen Integrität schwangerer Personen orientiert".

Kritik am Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1993 durch ifw und HVD

Die Kommission hat insgesamt gut 50 Organisationen zu Stellungnahmen eingeladen. Darunter sind so weit absehbar nur drei aus einem dezidiert säkular-humanistischen, frauenrechtlichen beziehungsweise konfessionsfreien Spektrum1, die sich für gesetzliche Neuregelungen außerhalb des Strafrechts einsetzen und dabei den Schutzgedanken zumindest für hochentwickelte Föten nicht völlig ausblenden: Als dritte Organisation (neben HVD und djb) gehört dazu das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw), gegründet von der Giordano-Bruno-Stiftung. Diese sieht sich der Aufklärung und einem wissenschaftlichen Weltbild als Alternative zu traditionellen Leitbildern (vor allem religiöser Provenienz) verpflichtet. In seiner Stellungnahme spricht sich das ifw dafür aus, "den selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruch vollständig, das heißt ohne jegliche Fristen, zu legalisieren und die §§ 218 ff. StGB zu streichen". Aufgrund evidenzbasierter Erkenntnisse zu pränatalen Stadien schlägt das ifw vor: "Berufsrechtlich ist Ärztinnen und Ärzten aufzugeben, der Schmerzempfindlichkeit des entwickelten Fötus im seltenen Falle eines nach dem ersten Trimester stattfindenden Schwangerschaftsabbruchs durch geeignete Methoden Rechnung zu tragen."

Ausgangspunkt für die Forderung des ifw nach ersatzloser Abschaffung ist die weltanschauliche Neutralität des freiheitlichen Rechtsstaats. Gemäß seines konstitutiven Grundsatzes sei in einer "offenen Gesellschaft nicht die Freiheit begründungsbedürftig, sondern jegliche Einschränkung der Freiheit". Das Institut wendet sich vor allem gegen die nicht verfassungskonforme "Fehlannahme eines angeblichen Grundrechtsschutzes des Embryos oder Fötus, der sich exegetisch weder aus dem Grundgesetz noch aus den Gesetzesmaterialien ableiten lässt"

Der HVD hat dem umstrittenen Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1993 einen Schlussabsatz gewidmet. Ebenso wie das ifw stellt der Verband fest: Das Gericht hat damals verkannt, dass die eben befruchtete Eizelle nicht um ihrer selbst willen vom Staat "erst recht nicht mit Mitteln des Strafrechts gegenüber der Schwangeren zu schützen sein darf". Darauf hätten auch die beiden Verfassungsrichter Bertold Sommer und Ernst Gottfried Mahrenholz in ihrem Sondervotum hingewiesen. Doch die Mehrheit bestand laut HVD auf "einer lebensschutzorientierten Beratungspflicht und der Rechtswidrigkeit für alle Schwangerschaftsabbrüche". Gemäß Protokollen hat es damals ein "Geschachere" zwischen Sozial-Liberalen, christlich-fundamentalistischen Hardlinern und Vermittelnden gegeben. Gefunden werden musste in dem "faulen Kompromiss" eine Aussage, so dass auch die Kirchenvertreter zustimmen konnten: "Die Würde des Menschen liegt auch für das ungeborene Leben im Dasein um seiner selbst willen" – dieser Bezug zum bekanntlich unantastbaren Grundgesetzartikel sollte nunmehr ewig gelten.

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1 Außerdem zur Stellungnahme und zur Anhörung eingeladen sind u.a. Doctors for Choice Germany e.V.pro familia – Deutsche Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung e. V. BundesverbandTERRE DES FEMMES – Menschenrechte für die Frau e. V. sowie der Zentralrat der Konfessionsfreien.