Bekenntnisschulen: kein Ende in Sicht?

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Max Ehlers

PADERBORN.(hpd) Vor zwei Monaten waren die nordrhein- westfälischen Bekenntnisschulen bundesweit in die Öffentlichkeit gelangt, als einem Erstklässler, Sohn muslimischer Eltern, die Aufnahme in eine katholische Grundschule in Paderborn verwehrt wurde. Der hpd hat über diesen Skandal berichtet.

Die Schulleitung hatte seinerzeit von den Eltern verlangt, eine Erklärung zu unterschreiben, wonach der Sohn hätte am katholischen Religionsunterricht und an katholischen Riten teilnehmen müssen. Dies war von den Eltern abgelehnt worden.

Die Bürgerinitiative "Kurze Beine – kurze Wege" hat sich zugunsten des Erstklässlers Bülent in die Angelegenheit eingemischt und gefordert, dem Grundrecht auf Religionsfreiheit auch für Grundschulkinder Geltung zu verschaffen. Insgesamt 2.283 Unterschriften sammelte sie innerhalb von sechs Tagen für die Einschulung des Jungen in die wenige Meter von der elterlichen Wohnung gelegenen Grundschule.

Bei der Übergabe der Unterschriften Mitte September an die Landtagsabgeordnete Sigrid Beer (parlamentarische Geschäftsführerin und schulpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen) versicherte diese, die Forderungen im Landtag vorzutragen; die Abgeordnete zeigte sich bei dieser Gelegenheit zuversichtlich, dass "in absehbarer Zeit eine positive Regelung" präsentiert werden könne. Es gäbe, so Beer, "seit langem andauernde Bemühungen um eine gesetzliche Neuregelung im Einvernehmen mit den Kirchen."

Der hpd hat jetzt, eineinhalb Monate später, dazu Max Ehlers, den Sprecher der Initiative "Kurze Beine – Kurze Wege" befragt.

hpd: Herr Ehlers, ist der Fall des sechsjährigen Bülent ein Einzelfall, gewissermaßen ein Ausreißer, etwa weil ein besonders eifriger Schulleiter in besonderem Maße die katholische Lehre propagieren will? Wie bewerten Sie - als langjähriger Beobachter der Bekenntnisschulproblematik in NRW - die Vorgänge in Paderborn?

Max Ehlers: Die Situation in NRW hat sich in den letzten Jahren deutlich verschärft, Paderborn ist kein Einzelfall. Seit der Aufhebung der Schulbezirke durch CDU und FDP unter Ministerpräsident Rüttgers in 2008 haben die Bekenntnisgrundschulen zunehmend ihr Profil geschärft. An immer mehr Schulen ist eine Abmeldung vom Religionsunterricht nicht mehr möglich. Übrigens: die Schwester des betroffenen Jungen besuchte bereits seit zwei Jahren die besagte Schule in Paderborn, ohne Religionsunterricht oder Gottesdienst besuchen zu müssen: Jetzt soll das plötzlich nicht mehr möglich sein. Diese Schule hat in der Vergangenheit sogar Abmeldeformulare für den Religionsunterricht ausgegeben! Paderborn folgt einem offenbar politisch gewollten Trend.

Nun gibt es ja den Einwand: wenn katholische Schulen zugelassen werden, dann muss man davon ausgehen, dass dort eben die katholische Lehre an die Kinder vermittelt wird. Das ist bundesweit ein Problem, das sich hinsichtlich der Zulassung von Ersatzschulen ergibt. Die Bekenntnisschulen in NRW...

... sind eben keine Ersatzschulen, sondern öffentliche Bekenntnisschulen! Dazu muss man wissen, dass es dieses Konstrukt nur noch in NRW in dieser Form gibt: Öffentliche Bekenntnisschulen, die zu 100% aus allgemeinen Steuermitteln finanziert werden. Trotzdem müssen alle Lehrkräfte katholisch sein. Und es handelt sich ja nicht nur um ein paar Schulen, sondern um ein Drittel aller Grundschulen. In manchen Landesteilen haben Konfessionsschulen sogar ein regelrechtes Monopol, wie eine Kleine Anfrage der Piratenfraktion gezeigt hat.

In 75 Kommunen gibt es ausschließlich Bekenntnisgrundschulen. Die Eltern haben bei der Einschulung in diesen Gebieten nahezu keine Möglichkeit, ihre Kinder nicht in eine Bekenntnisschule zu schicken. Oder sie müssen, wie im Fall der Familie in Paderborn, einen Schulweg von fast 4 km statt 50 Metern in Kauf nehmen.

Letztlich hat der Fall Bülent deutlich gemacht, dass der Gesetzgeber - also der Landtag - das Schulgesetz ändern muss, damit so etwas nicht mehr passieren kann. Unsere Kritik richtet sich übrigens ausdrücklich nicht an Ersatzschulen in kirchlicher Trägerschaft, wo die Kirchen sich ja auch finanziell engagieren.

Ist Ihnen bekannt, wie viel anderskonfessionelle oder nichtkonfessionsgebundene Kinder in NRW an Bekenntnisschulen unterrichtet werden? 

Der Anteil der sogenannten "Bekenntniskinder" nimmt von Jahr zu Jahr ab, analog zur allgemeinen Entwicklung in der Bevölkerung.

An der Schule, die Bülent besuchen sollte, sind lediglich 42% der Schülerinnen und Schüler katholisch. Im letzten Schuljahr waren auch im landesweiten Schnitt gerade einmal 57% der Kinder an katholischen Grundschulen katholisch. An Evangelischen Grundschulen gehörten sogar nur 44% der Schulkonfession an. Meist spiegelt die Schülerzusammensetzung weitgehend die örtliche Bevölkerung wider, trotzdem muss man das Recht auf Religionsfreiheit per Unterschrift an der Schulpforte abgeben.

Wenn ein großer Teil der Schülerschaft oder gar die Mehrheit nicht der "richtigen" Konfession der jeweiligen Bekenntnisschule angehört - gibt es keine Möglichkeit der Aufhebung des Bekenntnischarakters der immerhin ja, man muss es betonen "Öffentlichen" Schule?

In Niedersachsen, wo es in wenigen Landesteilen auch noch staatliche Bekenntnisschulen gibt, gibt es wenigstens eine Regelung, wonach Bekenntnisschulen umgewandelt werden müssen, wenn mehr als 30% der Kinder nicht dem Schulbekenntnis angehören. Es wäre schon ein gewaltiger Fortschritt, wenn es eine ähnliche Regelung auch in NRW gäbe.

Allerdings halten wir die Trennung von Kindern nach Konfession im Grundschulalter grundsätzlich für sehr problematisch, nicht zuletzt unter Integrationsgesichtspunkten. Wir verstehen auch nicht, wie sich das mit dem Inklusionsgedanken vertragen soll. Auch die GEW hat letztens ganz klar gesagt, dass Bekenntnisgrundschulen einem inklusiven Schulsystem widersprechen.

Zu Paderborn liegen aus dem Sommer Gerichtsbeschlüsse von Verwaltungsgerichten vor, die der Schulleitung Recht gegeben haben. Wie beurteilen Sie diese Gerichtsentscheidungen?

Bis jetzt gibt es noch keine endgültige Entscheidung, das Verfahren ist noch anhängig. Im Juli deutete die mit dem Fall zunächst befasste Einzelrichterin des Verwaltungsgerichts Minden noch an, dass Schulen mit mehr als 25 oder 30% bekenntnisfremden Schüler/innen als Gemeinschaftsschulen gewertet werden müssen, was enorme Konsequenzen nicht nur für diesen Fall, sondern für die gesamte Grundschullandschaft in NRW hätte. Die Entscheidung wurde wegen der Tragweite vertagt.

Der Eilentscheid des Oberverwaltungsgerichts Münster am Tag vor der Einschulung gab dem Schulleiter allerdings Recht, dass er das Kind abweisen durfte. Das war schon ein ziemlicher Schock für die Eltern und Bülent selbst, der sich gefreut hatte, mit seinen Kindergartenfreunden auf die Schule in unmittelbarer Wohnungsnähe gehen zu können. Auch uns hat dieser Entscheid überrascht. Nach unserem Verständnis ist eine solche Praxis nicht mit Recht und Gesetz des Landes NRW vereinbar, und es gibt Juristen, die das ähnlich sehen. Aber letztlich macht das nur deutlich, dass die Politik endlich für gesetzlich eindeutige Regelungen sorgen muss.

Die Politik, sagen Sie, muss reagieren. Reagieren die im Landtag vertretenen Parteien denn überhaupt auf den Skandal von Paderborn?

Eine direkte Reaktion aus der Politik gibt es leider nicht. Von der Abgeordneten Beer, der wir im September eine Protestresolution übergeben haben, ist bisher keine Rückmeldung erfolgt. Auf einen Brief unserer Initiative von Anfang Oktober an die Parteivorsitzenden in NRW, mit dem wir eine Änderung hinsichtlich der Bekenntnisschulen angeregt hatten, haben die Vorsitzenden der Regierungsparteien noch nicht reagiert. Die Vorsitzenden von CDU (Laschet) und FDP (Lindner) haben bekräftigt, dass sie am Verfassungsstatus der öffentlichen Bekenntnisschulen nicht rütteln wollen.