Zwischen Lametta und Lebkuchen

Weihnachten ist allgegenwärtig. Auch für nicht-religiöse Menschen. Ihr Umgang mit dem Fest ist unterschiedlich. Einige feiern Weihnachten als Familienfest ohne religiösen Hintergrund, andere ertragen die christliche Brauchtumspflege der Verwandtschaft und wieder andere verweigern sich dem Spektakel. hpd-Autorin Hella Camargo beschreibt, wie sie als Atheistin die Weihnachtszeit erlebt.

Von den Menschen, die Weihnachten feiern – oder ein Familienessen absolvieren mit Geschenken, Alkohol und Aufatmen, wenn die Verwandtschaft endlich weg ist – sind vermutlich die wenigsten besonders religiös. Für mich als Atheistin ist dieses Fest trotzdem schwierig. Am Karfreitag schaue ich "Das Leben des Brian" und gehe tanzen. Das anschließende Osterfest kann ich gepflegt ignorieren und über die seltsame Sitte, davor wochenlang zu fasten, nur staunen. Mit Weihnachten ist es anders. Weihnachten lässt sich nicht ignorieren. Bereits Anfang Dezember macht unsere ruhige Seitenstraße mit ihren blinkenden Lichtinstallationen Las Vegas Konkurrenz und völlig Unbekannte wünschen mir Segen und Besinnung.

Knapp 21 Millionen Menschen in Deutschland sind katholisch, rund 19 Millionen protestantisch. Tendenz rapide fallend. Zu ihrem Glauben gehört Weihnachten mit dem Fest um die Geburt Jesu Christi. Hinzu kommen noch geschätzt 15.000 pastafarianische Menschen, die das WeinAchtsFest feiern. Bei einer Gesamtbevölkerung von etwa 84 Millionen Menschen in Deutschland wären die Feiernden damit eigentlich in der Minderheit. Und doch ist Weihnachten allgegenwärtig – weit mehr als Valentinstag, Muttertag und die Feier zur ersten Freibadpommes des Jahres zusammen. Spätestens wenn sich die Discounter-Prospekte zum "Fest der Liebe" mit seitenweise Billigfleisch aus Qualtierhaltung überschlagen und der defekte Stern von Bethlehem in Hausnummer 16 hilfesuchend dreimal kurz, dreimal lang und wieder dreimal kurz blinkt, wird auch mir alle Jahre wieder klar, dass es auf Weihnachten zugeht.

Ein Fest, das für mich keine Bedeutung hat. Vielleicht habe ich es in den letzten Jahrzehnten einfach nur versäumt, es für mich zum "Fest der Familienzusammenkunft" oder zum "Fest der freien Tage mit den Liebsten" umzuschreiben und für mich geeignete Traditionen zu suchen. Für mich und vielleicht auch einige andere der über 40 Prozent Konfessionsfreien im Land ist es befremdlich, wenn Mitte Dezember beim Spazierengehen Andere "Gesegnete Weihnachten" und sämtliche Angestellten im Einzelhandel "Frohes Fest" wünschen. Ganz früh, damit wir die Wünsche auch bekommen, falls man uns vor Weihnachten nicht mehr sieht. Mittlerweile bleibe ich nicht mehr stumm, sondern wünsche wahlweise das Gleiche, ein fröhliches pastafarianisches WeinAchten oder einen guten Start ins neue Jahr.

Ähnlich drängend wie die Weihnachtswünsche fallen auch die nachbarlichen Forderungen nach Dekoration aus. Inmitten des weihnachtlich beleuchteten Seitenstraßen-Las Vegas fallen wir durch dezidiertes Nicht-Blinken auf. Bei uns blinkt und leuchtet nichts. Keine Engel. Keine Sterne. Keine glitzernden Kugeln am winterlich kargen Pflanzengeäst. Von der Nachbarschaft wird das bemängelt. Ja, früher war sicherlich mehr Lametta. Dennoch passe ich mich nicht an und hänge die als Wink mit dem weihnachtlichen Zaunpfahl geschenkten nachbarlichen Engel und Weihnachtsbaumkugeln nicht auf. Mir reicht es schon, dass ich für meine Oma sämtliche Weihnachtskarten schreiben und für die wenig internataffine Nachbarschaft noch die Last Minute-Geschenke bestellen soll. Natürlich kommen die Bestellwünsche erst am 20.12. Und wehe, die Waren kommen nicht bis zum 24.12. an. Wie soll man denn auch im November Geschenke kaufen, wenn man da doch gerade die Weihnachtsdeko bastelt, mit der man die Nachbarschaft beglückt? Das schmerzverzerrte Gesicht des Paketzustellers, der am 23.12. gefühlt 50 Kilo Last Minute-Geschenke bringt, lässt mitleiden.

Ansonsten betrachte ich staunend, wie Menschen, die das sonst ignorierte Gotteshaus nur noch mittels Navigationssystem finden, sich alljährlich an "Heiligabend" in dicke Jacke gehüllt ins Auto quetschen, um mit der ganzen Familie zur Christmette zu fahren. Und das, obwohl sie sonst über die fiesen alten Männer in Rom schimpfen, die ihrer Ansicht nach ihre Vorstellungen von Sexualität, Familie, Fortpflanzung und Frauen doch lieber für sich behalten sollten. Bei der Weihnachtsmesse holen sie sich ein wenig Besinnlichkeit ab, damit das anschließende Familienfest etwas geglätteter ausfällt und sich alle beim Glühweintrinken bis zur Besinnungslosigkeit nicht die übers Jahr angestaute Wahrheit ins Gesicht sagen.

Als Atheistin ohne alternatives Festkonzept habe ich mich dieses Jahr nicht für Geschenke verschuldet, muss keine Drei-Gänge-Menüs für 12 Personen kochen, keine Streitigkeiten um Geschenke oder politische und weltanschauliche Differenzen schlichten und kann mich den guten Seiten dieser Jahreszeit widmen: Zwei freie Tage, an denen ich in Ruhe vegane Lebkuchen und Dominasteine essen kann, ohne mir die Frage stellen zu müssen, ob ich mehr Lametta brauche.

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