Ein Portrait der Menschenrechtsaktivistin Maryam Namazie

"Wir wollen keine islamische Republik"

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Maryam Namazie, Menschenrechtsaktivistin und Sprecherin des Zentralrats der Ex-Muslime in Großbritannien
Maryam Namazie

Sie sei unmoralisch, korrupt und eine Hure, meinen Vertreter der Islamischen Republik Iran, von humanistischen Organisationen wird sie mit Preisen überhäuft: Maryam Namazie, die Sprecherin des Zentralrats der Ex-Muslime in Großbritannien. Seit Jahren kämpft sie gegen Islamismus und für Frauenrechte. In den andauernden Protesten im Iran sieht Namazie nicht nur eine Frauenbefreiungsbewegung, sondern eine Frauenrevolution.

Maryam Namazie schreibt über sich selbst in ihrem Twitter-Profil: "Eine im Iran geborene Autorin und Aktivistin, die vom islamischen Regime im Iran als unmoralisch, korrupt und Hure bezeichnet wird und von den Organisatoren der Innovationskonferenz TEDx als 'beunruhigend und anstößig'". Bei einem "TED-Talk" hatte die Menschenrechtlerin über kreative Formen des Protests gegen religiösen Fundamentalismus referiert. Auf humanistischer Seite erfährt die Ex-Muslima dagegen Hochachtung: Im September erhielt sie den "Sapio"-Preis des Internationalen Bunds der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) – für ihren Einsatz "für gleiche Rechte und gegen Privilegierung oder Diskriminierung im Namen der Religion" und für "das Recht, Religion zu kritisieren, und gegen die Einmischung in private Angelegenheiten im Namen der Religion".

Schon im August – noch vor Ausbruch der Proteste im Iran – sagte Maryam Namazie in einem Interview mit der Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo über den Angriff auf Salman Rushdie: "Dieser Angriff zeigt, wie sehr die Islamisten Angst vor uns haben! Sie wollen uns zum Schweigen bringen, weil sie wissen, wie laut unsere Stimmen sind und wie viele wir sind." Es gebe einen "Tsunami des Atheismus" im Iran, besonders unter den jüngeren Generationen, sagte sie weiter. Und prophezeite: "Weil die überwiegende Mehrheit der iranischen Bevölkerung jung ist, wird es eines Tages zum Zusammenstoß mit den Fundamentalisten kommen."

Verrat der Linken

Dazu scheint es nun gekommen zu sein: Seit gut zwei Wochen protestieren die Menschen im Iran, nachdem die 22-jährige Mahsa Amini nach der Festnahme durch die Sitten- und Religionspolizei gestorben war. Maryam Namazie unterstützt das Aufbegehren und rief zuletzt über ihre Social-Media-Kanäle die Menschen in London dazu auf, am 1. Oktober am Trafalgar Square ihre Solidarität mit der Frauenrevolution im Iran zu demonstrieren. Auf ihrem Telegram-Kanal skandiert sie seit Mitte September wiederholt: "We don't want an islamic republic" – "Wir wollen keine islamische Republik", verbunden mit dem Hashtag "MahsaAmini".

Sogar die deutsche Bild, landläufig nicht gerade als progressiv bekannt, befragte Maryam Namazie zu den Protesten im Iran: "Es ist die Frauenrevolution, von der wir seit vielen Jahren sprechen, die jetzt im Mittelpunkt steht, um dem islamischen Regime im Iran ein Ende zu setzen", zitiert die Zeitung die Aktivistin. Die weltweite Solidarität könne dazu beitragen, die Theokratie im 21. Jahrhundert ein für alle Mal zu beenden, fügte sie noch hinzu.

Im Interview mit Charlie Hebdo beklagte Namazie die fehlende Unterstützung der westlichen Länder im Kampf gegen das iranische Regime. Besonders enttäuscht zeigte sie sich von den linken Parteien. "Was linke politische Parteien betrifft – ich bin selbst Kommunistin – bleibt der Kampf gegen die Religionen ein linker Kampf. Es gibt einen Teil der Linken, der pro-islamistisch geworden ist, das ist ein Verrat." Die extreme Rechte, so die 56-Jährige, kritisiere den Islam nur, weil sie Einwanderer und Muslime hasse. "Vergessen wir nicht, dass die Islamisten auch ganz rechts sind!" Für Namazie gehört der Kampf gegen Fundamentalismus auch zum Kampf gegen Rassismus, Sexismus und Kapitalismus.

Eine unermüdliche Aktivistin gegen Steinigung und sexuelle Apartheid

"Sapio"-Preisverleihung
Maryam Namazie bei der "Sapio"-Preisverleihung des IBKA. (Foto: © Gerhard Lein)

Maryam Namazie wurde in Teheran geboren, floh aber 1980 aus dem Iran der Mullahs. Sie lebte in Indien und Großbritannien und ließ sich dann zunächst in den USA nieder, wo sie im Alter von 17 Jahren ihr Universitätsstudium begann. Nach ihrem Abschluss ging die Exil-Iranerin in den Sudan, um mit äthiopischen Flüchtlingen zu arbeiten. Während ihres Aufenthalts im Sudan übernahm dort eine islamische Regierung die Macht. Sie wurde bedroht, weil sie eine Menschenrechtsorganisation gegründet hatte und musste von ihrem Arbeitgeber zu ihrer eigenen Sicherheit evakuiert werden.

Zurück in den Vereinigten Staaten arbeitete sie für verschiedene Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen und wurde von der International Federation of Iranian Refugees zur Exekutivdirektorin gewählt. Als Leiterin der Flüchtlingsorganisation setzte sie sich für Tausende von iranischen Asylbewerbern und Flüchtlingen ein. Unermüdlich engagierte sich Maryam Namazie in vielen Kampagnen, unter anderem gegen Steinigung, Hinrichtungen, sexuelle Apartheid und Frauenrechtsverletzungen, insbesondere in islamischen Gesellschaften. Mittlerweile lebt die Aktivistin mit ihrer Familie wieder in Großbritannien, wo sie die Sprecherin von One Law for All und des Council of Ex-Muslims of Britain ist. Mit den Ex-Muslims International hat sie den "Apostasy Day" ins Leben gerufen.

Mit Oben-ohne-Protesten gegen den Fundamentalismus

Die Liste von Maryam Namazies Aktivitäten gegen den Fundamentalismus und für Menschenrechte ist lang. Dabei scheut sie sich auch nicht, selbst an provokativen Aktionen teilzunehmen: Bei der Pride Parade in London etwa führte sie Oben-ohne-Proteste zur Verteidigung von LGBTQ-Rechten an. 2012 initiierte sie den "Nude Photo Revolutionary Calendar", für den sie und andere Frauen sich zum Weltfrauentag nackt fotografieren ließen, um damit die atheistische Bloggerin Aliaa Magda aus Ägypten zu unterstützen. Namazie gründete 2009 die Organisation Iran Solidarity, um damit die Menschen im Iran zu unterstützen, die gegen das Islamische Regime sind. Außerdem war sie an der Lancierung des "Manifests für einen freien und säkularen Nahen Osten und Nordafrika" beteiligt. 2006 unterzeichnete Maryam Namazie zusammen mit Salman Rushdie, Taslima Nasrin und anderen eine Erklärung von zwölf Schriftstellern gegen den islamischen Totalitarismus.

Nicht allen gefallen die Aktivitäten der Menschenrechtlerin. In ihrem TEDx-Vortrag berichtete sie unaufgeregt von den unzähligen Morddrohungen, die sie von Islamisten erhalten habe und wies darauf hin, dass es bei etlichen Religionen fundamentalistische Bewegungen gebe, die ihre Kritiker mundtot machen wollten und auch vor Mord nicht zurückschreckten.

Auf der anderen Seite wird sie mit Preisen überhäuft: Ihre ersten bekam Namazie bereits in den 1980er Jahren: etwa vom International Rescue Committee (1988), einer internationalen Hilfsorganisation für Flüchtlinge und Kriegsopfer, und den Julia B. Friedman Humanitarian Award (1987), einem der höchstdotierten humanitären Preise der Welt.

Für ihren Blog wurde sie als Journalistin des Jahres bei den Dods Women in Public Life Awards (2013) geehrt. 2014 wurde sie von der Kazimierz Lyszczynski Foundation als Atheistin des Jahres ausgezeichnet und zwei Jahre später von International Secularism (Laicité) mit dem "Prize des Comité Laïcité République". Im gleichen Jahr ehrte sie auch die National Secular Society für ihre Kampagnenarbeit zur Verteidigung der freien Meinungsäußerung an Universitäten. Die Ex-Muslimin hatte sich bei ihren Vorträgen nicht beirren lassen, obwohl islamische Studentenvereinigungen versucht hatten, sie einzuschüchtern.

Zudem wurde die Menschenrechtsaktivistin 2017 mit dem "Henry H. Zumach Freedom From Religious Fundamentalism Award" von der Freedom from Religion Foundation ausgezeichnet. Sie war Mitgewinnerin des "Emma Humphreys Memorial Prize" 2019, einem Preis für feministische Kämpferinnen. In ihrer Laudatio bei der Wahl zu "Secularist of the Year" 2005 hieß es: "Meine Damen und Herren, wir sind sicher, Sie werden uns zustimmen, dass Maryam Namazie eine würdige und edle Gewinnerin dieses ersten Irwin-Preises ist". Der "Sapio" des IBKA ist eine weitere Bestätigung für eine Frau, die unermüdlich ist in ihrem Kampf für die Freiheit. 

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