Rezension

Eine soziallinke Kritik der linksliberalen Elite

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Catherine Liu, eine amerikanische Film- und Medienwissenschaftlerin, legt mit "Die Tugendpächter. Wie sich eine neue Klasse mit Moral tarnt und Solidarität verrät" eine gegen die linksliberale Elite gerichtete Streitschrift vor. Auch wenn sich viele Beispiele auf US-amerikanische Gegebenheiten beziehen, gibt es genügend Parallelen auch zur deutschen Situation. Die Autorin argumentiert dabei gegen die Identitätslinke als Soziallinke.

Wofür steht eigentlich die Abkürzung PMC? Die Antwort lautet: "Professional Managerial Class". Damit ist man aber immer noch nicht viel schlauer. Die Bezeichnung ist in den USA verbreitet, indessen noch nicht nach Europa herüber geschwappt. Geprägt wurde der Begriff von Barbara und John Ehrenreich, zwei bekannten Soziologen, welche damit das Aufkommen einer neuen Gesellschaftsschicht kennzeichnen wollten. Gemeint waren akademisch geprägte Anwälte, Ärzte, Journalisten, Lehrer, Professoren oder Publizisten, die sich als Angestellte von den Arbeitern unterschieden und einer linksliberalen Gesinnung anhingen. Gegen deren gegenwärtiges Denken hat Catherine Liu eine Streitschrift vorgelegt: "Die Tugendpächter. Wie sich eine neue Klasse mit Moral tarnt und Solidarität verrät". Um ihr Anliegen zu verstehen, ist ihre Person wichtig: Seit über 30 Jahren arbeitet Liu als Professorin an verschiedenen US-Universitäten, gegenwärtig für Film- und Medienwissenschaft an der University of California, Irvine. Und sie ist bekennende Sozialistin, was sich nicht nur in ihrem Bekenntnis im Buch, sondern auch der Begeisterung für Bernie Sanders artikuliert.

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Gleichwohl trägt die Autorin gegenüber der linken Identitätspolitik eine vehemente Kritik vor, spiele die soziale Frage doch für die gemeinten PMCs kaum noch eine Rolle. Von den Arbeitern habe sich die liberale Elite abgewandt, spreche schon lange nicht mehr ihre Sprache und verachte sie als reaktionäre Hinterwäldler, bei gleichzeitiger Ignoranz gegenüber ihren Interessen und Problemen. Für die deutsche Ausgabe des Buchs schrieb Liu ein eigenes Vorwort, worin sie auch die Existenz von PMCs außerhalb der USA thematisiert. Darin heißt es etwa: "Parteien wie die AfD könnten nicht gedeihen, wenn es keine abgehobene deutsche PMC gäbe, die sich US-amerikanische Streamingdienste ansieht, vom nächsten Einhorn träumt, zudem bereit ist, den US-Imperialismus im In- und Ausland zu unterstützen und die Sorgen der Arbeiterklasse zu ignorieren oder gar zu verachten" (S. 16). Demgegenüber wird nicht nur für Deutschland, sondern allgemein für die westlichen Länder dafür plädiert, die soziale Frage wieder stärker ins Zentrum zu rücken. Denn rechtspopulistische Akteure hätten gerade Erfolg aufgrund der linken Ignoranz gegenüber sozialer Ungleichheit.

In den drei Hauptkapiteln geht Liu dann auf das gemeinte Phänomen kritisch ein, wobei die Aufmerksamkeit insbesondere auf Entwicklungen in den USA bezogen ist. Bereits zu Beginn wird das poststrukturalistische Denken aufgrund dessen Relativismus kritisiert, würden damit doch die Grundbestandteile des modernen Wissenschaftsverständnisses verworfen. Damit sei letztendlich die Gesinnung wichtiger als das Wissen geworden. Gleichzeitig wäre die Ideologie von der Leistungsgesellschaft bei den PMCs immer stärker zum Selbstverständnis geworden, verbunden eben mit der Abwertung der Arbeiterschaft wofür gerade in Hillary Clinton ein Musterbeispiel gesehen wird, habe sie doch mit elitärer Verachtung auf die sozial Zurückgebliebenen geschaut. Die gemeinten Denkungsarten hätten dann noch weitere Folgen gehabt, was anhand von Aufstiegschancen, Bildungspolitik und Sexualität thematisiert wird. Deutlich machen will die Autorin bei all dem das falsche Bewusstsein einer neuen Klasse, die mittlerweile selbst reaktionäre Klassenpositionen vertrete. Gleichzeitig weigere man sich die für viele Übel bestehende Verantwortlichkeit des Wirtschaftssystems zu benennen.

Ihre Kritik entwickelt Liu anhand der USA, wo einzelne Fallbespiele jeweils Stoff für die Verallgemeinerung liefern. Dies kann den deutschen Leser etwas irritieren, sofern die dortigen Zusammenhänge nicht bekannt sind. Gleichwohl veranschaulicht die Autorin im Vorwort, dass all dies auch ein in Deutschland relevantes Thema ist. Im kritischen Diskurs über linke Identitätspolitik sind die vorgetragenen Positionen nicht neu, sie entsprechen der bekannten Frontstellung gegen die Identitätslinke durch die Soziallinke. Gelegentlich kann Liu dabei einen kämpferischen Pathos nicht unterdrücken, wenn etwa vom Feind des Volkes bezogen auf die Wirtschaftsordnung gesprochen wird. Ihre Einwände gegen die Identitätspolitik sind indessen nicht von der Hand zu weisen. An Beispielen verweist sie bezogen auf die Intersektionalität auf Schiefen, etwa wenn auf die Benachteiligung von Frauen oder Schwarzen verwiesen wird, eine solche einer Arbeiterin als Arbeiterin dann aber kein Thema ist. "Eine Afroamerikanerin aus der Arbeiterschicht ist einer asiatischen Frau aus der Arbeiterschicht näher als Oprah Winfrey", meinte Liu treffend in einem taz-Interview.

Catherine Liu, Die Tugendpächter. Wie sich eine neue Klasse mit Moral tarnt und Solidarität verrät, Frankfurt am Main 2023, Westend-Verlag, 127 Seiten, 18 Euro

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