Aufklärung und Kritik 1/2024 erschienen

Philosophie der Aufklärung – Geschichte und Bedeutung

Das aktuelle Heft von Aufklärung und Kritik (A&K), der umfangreichen Vierteljahreszeitschrift der Gesellschaft für Kritische Philosophie Nürnberg (GKP), ist erschienen. Die Redaktion hat dem hpd wieder das Vorwort zur Verfügung gestellt.

Als Autor des späten 17. und des frühen 18. Jahrhunderts gehört Pierre Bayle (1647-1706) zweifellos zu den ganz frühen Vertretern der französischen Aufklärung. Sein "Historisches und kritisches Wörterbuch" (französisches Original 1696, deutsche Erstausgabe 1741-1744) gilt schon seit langem als einer der klassischen Texte der modernen Philosophie. Dem Werk Bayles widmen sich zwei Aufsätze in diesem Schwerpunktheft zur Philosophie der Aufklärung. Beide betonen die Bedeutung von Bayles Philosophie für das sich entwickelnde aufklärerische Denken.

Dr. Ruth Spiertz stellt als Kern von Bayles aufkläreischer Methode die Verbindung von Vorurteilsfreiheit, Wahrhaftigkeit und Unparteilichkeit des Denkens heraus und analysiert sodann die für Bayle charakteristische Kombination von Skepsis und Ironie. Zugleich bietet ihr Beitrag eine Skizze zu Aufbau und Inhalt des "Wörterbuchs".

Einem spezielleren Thema, nämlich der "Kometenschrift" Bayles aus dem Jahre 1682, ist der Aufsatz von Reinhard Fiedler gewidmet. Doch arbeitet Fiedler auch am Beispiel dieser kritischen Auseinandersetzung mit einer besonderen Form von Aberglauben Bayles wichtige Beiträge zu einer aufklärerischen Kultivierung selbständigen und kritischen Denkens heraus. Als deren Zentrum sieht Fiedler ganz zu Recht neben der Bekämpfung von Aberglauben, Vorurteil und Intoleranz das Bemühen an, die Moral von der Herrschaft der Theologie zu befreien und zu einer sukzessiven Bildung der gesamten Bevölkerung beizutragen.

Neben dem Projekt der Volksbildung sind das Streben nach Mündigkeit und auch der Glaube an die Perfektibilität des Menschen und der Gesellschaft zentrale Elemente des aufklärerischen Programms. Die Idee der Perfektibilität ist daher nicht zufällig das Zentrum des Beitrags von PD Dr. Jan-Hendrik Heinrichs zur Philosophie Samuel Pufendorfs. Gleichzeitig arbeitet der Autor insbesondere mit Blick auf einige Grundprobleme der Ethik zudem heraus, dass Pufendorf trotz dieser Nähe zur Aufklärung in verschiedenen Hinsichten in einem spannungsvollen Verhältnis zu deren Grundüberzeugungen steht. Der Aufsatz endet mit einigen erhellenden Kommentaren zur bleibenden Aktualität der Philosophie Pufendorfs.

Auch innerhalb der "Schottischen Aufklärung" (ca. 1740-ca. 1770) ist das Programm einer umfassenden Volksbildung ein zentrales Anliegen. Als deren Vertreter erscheinen in diesem Schwerpunktheft David Hume (1711-1776) und Adam Smith (1723-1790). Die beiden Beiträge zu Hume thematisieren zentrale erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Fragen; der Aufsatz zu Smith analysiert dagegen dessen Praktische Philosophie.

Im Zentrum des Aufsatzes von Dr. Martin Morgenstern steht ein wichtiges und sehr wirkungsmächtiges Lehrstück der empiristischen Wissenschaftstheorie Humes, nämlich seine berühmte skeptische Theorie der Kausalität. Ausführlich analysiert Morgenstern jedoch auch die damit eng verbundenen Probleme der Induktion sowie ferner Humes originelle Auflösung dieser Schwierigkeiten im Rahmen seines spezifischen Pragmatismus.

Der Beitrag von Professor Dr. Rudolf Lüthe widmet sich dem Verhältnis von Anthropologie, Psychologie und Geschichtsforschung im Gesamtwerk Humes. Dabei wird deutlich, dass Hume in der historischen Forschung einen Ersatz für das aus seiner Sicht in den Wissenschaften vom Menschen fehlende Experiment sieht. Zugleich wird in diesem Beitrag herausgestellt, dass Hume sowohl den Begriff der Notwendigkeit als auch denjenigen der Freiheit psychologisieren muss, um fundamentale Widersprüche bei seiner Grundlegung einer empirischen Wissenschaft vom Menschen zu vermeiden.

Dr. Heidemarie Bennent-Vahle arbeitet in ihrem Text wesentliche Grundzüge der Praktischen Philosophie Adam Smiths heraus. Dabei geht es der Autorin auch um die Herausstellung der besonderen Bedeutung von Emotionen bei der Grundlegung der Moraltheorie. Im Verlauf der Argumentation werden ferner Smiths Theorie der Sympathie, seine Einschätzung des Verhältnisses von Egoismus und Gemeinsinn sowie die Spannung zwischen der Gefahr der Selbsttäuschung und dem problematischen Konzept des "unparteiischen Beobachters" dargestellt.

Zu dieser Thematik veranstaltet die Gesellschaft für kritische Philosophie in Zusammenarbeit mit der Humanistischen Akademie am 16.03.2024 von 10-18 Uhr ein Symposium im Marmorsaal der Nürnberger Akademie. Die Teilnahme ist sowohl in Präsenz als auch via Zoom möglich – Näheres unter symposium-aufklaerung.de.

Die englische Aufklärung ist in diesem Band durch einen Beitrag zur Theorie der Emanzipation der Frauen vertreten. In ihrem engagierten Aufsatz zu der bedeutenden emanzipatorischen Abhandlung von Mary Ann Wollstonecraft aus dem Jahre 1792 arbeitet Dr. Annette Förster nicht nur deren überzeugende Argumente gegen die anthropologisch und theologisch fundierten Begründungen der Vorherrschaft von Männern heraus. Vielmehr bringt sie eine systematische Ordnung in die teilweise ein wenig rhapsodischen Darlegungen der klugen Autorin.

Zahlreiche Beiträge des Bandes sind der französischen Aufklärung gewidmet. Wie schon im Fall von Samuel Pufendorf zeigen die Beiträge in diesem Band aber, dass die Positionen der verschiedenen Aufklärer keineswegs allesamt einer gemeinsamen aufklärerischen Orthodoxie folgen. So ist etwa die Anthropologie Julien Offray de La Mettries (1709-1751) dezidiert materialistisch orientiert, dies gilt jedoch keineswegs für alle Aufklärer. In seinem Beitrag zu dessen Philosophie betont Professor Dr. Harald Seubert, dass seine "Ontologie der Seele" geradezu als "dissidentisch" eingestuft werden muss. Ferner stellt Seubert eindrucksvoll heraus, wie radikal La Mettrie die Bedeutung persönlicher Freiheit, auch und gerade in Fragen der Moral auffasst. Zugleich arbeitet der Autor Grundzüge der Wirkungsgeschichte La Mettries bis in die Gegenwart heraus.

In einer zweiten Untersuchung zur Philosophie von La Mettrie erläutert Karlheinz Rehwald ausführlich die Grundzüge von dessen "materialistischem Monismus" und stellt dabei zugleich das Verhältnis von Mensch und Tier aus der Sicht La Mettries vor. Weitere Themen des Beitrags sind das Freiheitsproblem und die Grundzüge einer hedonistischen Ethik. Auch La Mettries Schwanken zwischen Atheismus und Agnostizismus wird skizziert. Im letzten Teil seines Aufsatzes verweist der Autor bereits auf die Philosophie des Barons von Holbach, die der Gegenstand eines Beitrags von Professor Dr. Wulf Kellerwessel ist.

Innerhalb der französischen Geistesgeschichtsschreibung gilt Voltaire (1694- 1778) häufig als der Aufklärer par excellence, und dieses Zeitalter wird entsprechend auch als "siècle de Voltaire" bezeichnet. Dabei gilt auch für ihn, dass er keineswegs in jeder Hinsicht alle Grundtendenzen der Aufklärung aufgreift. So ist die Aufklärung bei zahlreichen ihrer Vertreter materialistisch und atheistisch orientiert. Für Voltaire jedoch gilt, wie PD Dr. Ulrike Bardt in ihrem Beitrag deutlich macht, dass er trotz seiner leidenschaftlichen Kritik an Kirche und Justiz keineswegs einen undifferenzierten Atheismus und Materialismus vertrat. Zwar steht Voltaires Denken tatsächlich für eine radikale Ablehnung von religiösem Fanatismus sowie für ein entschiedenes Eintreten für alle Formen von Toleranz; damit verbindet Voltaire jedoch eine Offenheit für theologische Positionen. So ist in seiner Sicht die Theodizeefrage ein unlösbares Problem, und ähnlich rätselhaft erscheint ihm die von ihm selbst akzeptierte immaterielle Existenz der Seele. Auch dieser Aufsatz endet mit einem Hinweis auf Voltaires bleibende Aktualität, nachdem auch schon zu Anfang des Textes solche Bezüge ausdrücklich herausgestellt wurden.

Auch im Aufsatz von Dr. Robert Zimmer zur Philosophie von Denis Diderot (1713-1784) ist Religion ein zentrales Thema. Sie findet bei diesem Aufklärer ihren spezifischen Ausdruck in dessen "selbstkritischem Atheismus und Materialismus". Ein weiterer wichtiger Aspekt dieser Darstellung der Philosophie Diderots ist das Thema der Lebensklugheit. Besondere Beachtung findet in diesem Aufsatz jedoch auch Diderots spezifische Missachtung der Grenzen zwischen Philosophie und Literatur, die es Zimmer erlaubt, mit Bezug auf Diderots Schriften von einer "philosophischen Erzählkunst" zu sprechen.

Professor Dr. Wulf Kellerwessel konzentriert seine Darstellung der Politischen Philosophie Paul Thiry d'Holbachs (1723-1789) zunächst auf deren Grundzüge. Als diese werden die Verwirklichung von Glück in der Verbindung mit Vernunft sowie die politische Bedeutung von Recht und Gesetzesherrschaft herausgestellt. Anschließend vergleicht Kellerwessel d'Holbachs Überlegungen zu den möglichen Grundformen des Staates (Despotie, Tyrannei, Aristokratie, absolute und eingeschränkte Monarchie sowie die "gemischte Republik" und die Demokratie) aus aufklärerischer Sicht wertend miteinander. Ein weiteres wichtiges Thema des Beitrags ist die Bedeutung von Gleichheit im aufgeklärten Staat.

Auch in Kellerwessels zweitem Beitrag zu diesem Schwerpunktheft spielt die Politische Philosophie eine wesentliche Rolle. In diesem Text geht es um deren Verhältnis zu Religionskritik und Ethik in einem Werk von Claude-Adrien Helvétius (1715-1771), nämlich der Schrift "Vom Menschen, von seinen geistigen Fähigkeiten und von seiner Erziehung" und um deren einschlägige Beiträge zum Programm der Aufklärung. Neben der Einbettung der Moral in die Rolle der Menschen als Staatsbürger wird dabei vor allem auch das problematische Verhältnis von Religion und Ethik thematisiert. Die Darstellung dieses Verhältnisses gipfelt in der These einer Unvereinbarkeit von religiöser und bürgerlicher Tugend. Abschließend diskutiert Kellerwessel einige der Elemente von Helvetius' Philosophie unter dem Gesichtspunkt ihrer möglichen Aktualität.

Eine besonders kritische Auseinandersetzung mit der Politischen Philosophie der Aufklärung findet sich in dem Beitrag von Professor Dr. Armin Pfahl-Traughber zu Jean-Jacques Rousseau (1712-1778). Im Zentrum dieser Kritik stehen Rousseaus "Antipluralismus" und dessen negative Wirkungen insbesondere in den aktuellen Debatten im Rahmen der "Identitätspolitik". Der Autor sieht im identitären Demokratieverständnis, wie es sich unter dem Einfluss von Rousseaus Antipluralismus entwickelt hat, die Gefahr einer impliziten Diktaturlegitimation.

Die Aktualität aufklärerischen Denkens wird im letzten Beitrag dieses Bandes in besonderer Weise thematisiert. Professor Dr. Gabriele Gramelsberger beschreibt darin "Schopenhauers Materialismus als späte Vollendung der Aufklärung". Im Zentrum der Darlegungen stehen dabei Arthur Schopenhauers Willensphilosophie sowie sein Einfluss auf die Psychologie des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Ferner sieht die Autorin auch in Schopenhauers nüchterner Einschätzung der Marginalität menschlicher Existenz im Gesamtzusammenhang des Universums einen Ausdruck von dessen Modernität.

Prof. Dr. Wulf Kellerwessel
Prof. Dr. Rudolf Lüthe
Herausgeber

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