Diskriminierung durch Islamismus und patriarchale Strukturen

Muslime sind die ersten Opfer des Islamismus

2025_04_22_podium.jpg

Güner Balci, Rebecca Schönbach (Moderation), Fatma Keser und Tugay Saraç (v.l.n.r.)
Güner Balci, Rebecca Schönbach, Fatma Keser und Tugay Saraç

2025_04_22_gesamt.jpg

Brunchgespräch
Brunchgespräch

Die Frauen für Freiheit luden am Montag zu einem Brunchgespräch ein. Güner Balci, Fatma Keser und Tugay Saraç sprachen über Ausgrenzung und Diskriminierung innerhalb der islamischen Communitys. Homosexuelle, Frauen und Mädchen sind die Opfer einer zutiefst patriarchalen Struktur, wie sie in den islamistisch geprägten deutschen Moscheengemeinschaften gang und gäbe sind.

Man müsse, so Güner Balci, über die noch immer vorhandene Macht von Religionen in Deutschland generell reden. Denn nur so könne man verstehen, weshalb der Staat mit Organisationen wie Ditib und Milli Görüs verhandle, und nicht mit liberalen Muslimen, die allerdings laut Tugay Saraç in der Öffentlichkeit eher eine kleine Minderheit darstellen.

Tugay Saraç sagte in seinem Impulsvortrag auch, dass es zum Beispiel homosexuelle Muslime seien, die am häufigsten unter verbalen und tätlichen Angriffen durch radikale Muslime leiden. Das gelte, so Fatma Keser, auch und vor allem für Mädchen und Frauen. Sie berichtete von dem Druck, der auf jenen laste, die in einer strenggläubigen Community aufwachsen.

"Ich bin groß geworden mit einem gewissen Selbsthass", berichtete Tugay Saraç, "weil mir von Anfang an beigebracht wurde, dass Homosexualität abzulehnen ist." Und das sei ihm passiert in einem Umfeld, das nicht einmal streng islamisch gewesen sei, sondern eher türkisch-traditionell. "Homosexualität ist etwas Schlechtes, es ist sündhaft, eklig, pervers… Suchen Sie sich irgendein gemeines Wort aus." Und dieser Umgang mit Homosexualität sei, so Saraç, die Regel innerhalb der Familien und der gesamten Community. "Wenn ich mit Politikern über die Probleme rede, dann heißt es oft: 'Ja, aber diese Probleme gibt es doch überall.'" Es gebe aber einen gravierenden Unterschied: Wenn man sich innerhalb der islamischen Religion für eine Gleichberechtigung homosexueller Menschen einsetzt, werde man "viel schneller bedroht", es komme zu Morddrohungen und Übergriffen. "In Schulen haben wir ein Riesenproblem mit Homo-Feindlichkeit. Ich bekomme zwei mal die Woche E-Mails von verzweifelten Lehrerinnen und Lehrern."

Tugay Sarac, Foto: © Frank Nicolai
Tugay Saraç, Foto: © Frank Nicolai

Wie wenig Fingerspitzengefühl oft auch Politiker haben, wenn es um den Umgang mit radikalislamischen Muslimen geht, zeigt der Fall des Bezirksbürgermeisters von Berlin Tempelhof-Schöneberg. Er feierte das Ende des Ramadan in einer Ditib-Moschee; sein Vize lehnte ab. Auch die Bürgermeisterin von Berlin-Mitte lädt regelmäßig zu Gesprächen ein. Dort werde genauso regelmäßig von den Mitgliedern muslimischer Organisationen versucht, Tugay Saraç einzuschüchtern "und dann auch in Türkisch mit mir ganz anders [zu] reden als sie sich trauen würden, es in deutsch zu tun."

Die Betroffenheit habe sie zur Expertin gemacht, sagte Fatma Keser: "Ich bin Betroffene von 'Gewalt im Namen der Ehre'." Es sei deprimierend, sich damit in Deutschland auseinandersetzen zu müssen, da sie den Eindruck habe, dass über Gewalt im Namen der Ehre "nur in einer Negation gesprochen wird". Das Thema, obwohl es so viele Frauen und Mädchen betreffe, finde öffentlich nicht statt. Bei Gewalt im Namen der Ehre werde immer nur über die extremsten Formen gesprochen: Über sogenannte "Ehrenmorde" zum Beispiel. "Alles, was da im Vorfeld passiert, findet in Deutschland eigentlich kaum Beachtung." Wenn man darüber rede, werde einem schnell der Vorwurf gemacht, "dass man muslimische Menschen als Täter darstellen möchte." Dabei sei diese Gewalt Alltag für alle Mädchen und Frauen [in den Communitys].

In Deutschland gelte die Prämisse, dass man Muslime nicht zu Tätern erklären soll. "Das Problem ist aber, dass dabei unbeachtet bleibt, dass Muslime auch die größten Opfer [ihrer eigenen Communitys] sind." Aus Angst vor Rassismusvorwürfen werde zu wenig darüber gesprochen. "Nicht der Rassismus der Anderen macht, dass wir darüber nicht reden wollen; sondern der eigene Rassismus macht es, dass uns die Opfer egal sind." Wenn wir aber nicht über die Opfer reden, gewönnen junge Mädchen den Eindruck, dass der Staat zum Beispiel Zwangsehen unterstütze. Weil er Mädchen, die aus diesen Verhältnissen fliehen konnten, zurück in die Familien bringt.

 Fatma Keser, Foto: © Frank Nicolai
 Fatma Keser, Foto: © Frank Nicolai

Das "reaktionäre Religionsverständnis", welches sie in Berlin-Neukölln beobachte, sei der Grund für viele Alltagsprobleme der Menschen dort, sagte Güner Balci. Sie ist dort aufgewachsen und habe die Veränderungen selbst beobachten können. "Wenn wir von reaktionärem Religionsverständnis sprechen … und uns anschauen, wie dem begegnet wird von der einen Seite mit der Debatte um Rassismus in Bezug auf marginalisierte Gruppen und gleichzeitig auf der anderen Seite mit der Idee von einer Leitkultur" wie sie von CDU/CSU und dem rechten Spektrum formuliert wird. Es gehe jedoch, "losgelöst von Kultur und Herkunft und Weltanschauung" darum, "die Grundrechte in diesem Land zu klären und zu verteidigen."

Für sie sei die Situation in Neukölln "wie unter einem Brennglas", in dem sich die Situation in Gesamtdeutschland zeigt, "wie wir in Gesellschaften miteinander leben, in denen es viele Menschen aus verschiedenen Ländern gibt, die auch nicht alle die gleiche Sprache sprechen und trotzdem miteinander auskommen müssen." Deshalb sei auch der Umgang mit den verschiedenen Vereinen, Verbänden und Organisationen sowie religiösen Institutionen ein wichtiger Punkt. Denn "man muss überall und jederzeit hinterfragen."

Wir hätten – so Balci – viel zu wenige politische und zivilgesellschaftliche Institutionen, "die bereit sind, für die Rechte der individuellen Selbstbestimmung eines jeden einzelnen Menschen, der hier in Deutschland lebt, zu kämpfen und sie einzufordern." Denn eine Politik und eine Gesellschaft, die sich nicht dafür einsetzt, "ist letztendlich verantwortlich dafür, dass Neukölln sich dahingehend verändert hat, dass sich das im Alltag bemerkbar macht. Und zwar für homosexuelle Menschen, für Frauen und für Mädchen, für bestimmte Minderheiten, die keine große Lobby haben."

Güner Balci, Foto: © Frank Nicolai
 Güner Balci, Foto: © Frank Nicolai

"Ich habe damals gelernt: Die Besetzung des öffentlichen Raumes ist wichtig, wenn man für Frauenrechte einstehen will. Wie sich Frauen im öffentlichen Raum bewegen ist politisch." Und wenn man dann aber heute einen öffentlichen Raum habe, der von Mädchen und Frauen nicht mehr genutzt werde – im Winter ab 18 Uhr und im Sommer ab 21 Uhr, weil Frauen und Mädchen sich nicht mehr sicher fühlten und "weil es ihnen nicht vorbestimmt ist" sich nach dieser Zeit an einem öffentlichen Platz aufzuhalten – "dann haben wir ein Riesenproblem". "An der Entwicklung der Mädchen- und Frauenfrage entscheidet sich die Entwicklung unserer Demokratie."

Der hpd fragte, was davon zu halten sei, dass der Regierende CDU-Bürgermeister Kai Wegner den Religionsunterricht in Berlin wieder als verpflichtendes Unterrichtsfach einführen will und ob dazu Stellungnahmen von muslimischen Vereinen und Verbänden bekannt seien. Während Zweitens verneint wurde, sagte Güner Balci dazu: "Wenn wir über die Möglichkeit von Religionsunterricht sprechen, müssen wir über die Kirchen reden. Wenn wir Islamismus bekämpfen wollen, müssen wir die Kirchen bekämpfen." Denn solange der Staat Kirchen und überhaupt religiösen Gruppierungen Macht einräume, die sie schon allein aufgrund der sinkenden Mitgliederzahlen nicht mehr habe und haben sollte, müsse der Komplex insgesamt kritisch betrachtet werden. "Das sieht man immer wieder auch bei den sogenannten interreligiösen Dialogen, bei denen sich immer alle – Friede, Freude, Eierkuchen – alle sehr einig sind." Allerdings werde dabei die Mehrheit der Bevölkerung, nämlich die Nicht-Religiösen, nicht gefragt und nicht gehört.


Güner Balci: Journalistin, Autorin und Filmemacherin. Sie ist Gründungsmitglied des Muslimischen Forums Deutschland. Seit 2020 ist sie Integrationsbeauftragte im Berliner Stadtbezirk Neukölln.

Fatma Keser: Mitgründerin der "Migrant*innen für Säkularität und Selbstbestimmung", Mitherausgeberin des Buches "Gesichter des politischen Islam" (2024).

Tugay Saraç: Mitglied der liberalen Ibn Rushd-Goethe-Moschee (Berlin). Er leitet die Anlaufstelle Islam und Diversity für die Anliegen queerer Mulim*innen.

Rebecca Schönbach: Spezialistin für Islamismus und Vorstand von Frauen für Freiheit.

Unterstützen Sie uns bei Steady!