Ecuador: Katholische Kirche nennt Sterbehilfe diabolisch

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Hauptkirche des Erzbistums Cuenca (Ecuador), die "Catedral Metropolitana de la Inmaculada Concepción"
Hauptkirche des Erzbistums Cuenca (Ecuador)

Paola Roldán Espinosa ist unheilbar an Amyotropher Lateralsklerose erkrankt. Um in Würde und selbstbestimmt sterben zu können, hat sie sich im August an das ecuadorianische Verfassungsgericht gewandt. Dieses hat nun in diesem Monat geurteilt, dass ein Gesetz zu legaler Sterbehilfe geschaffen werden muss. Während das Gericht mit Würde argumentiert und religiöse Gefühle in einem laizistischen Staat nicht als ausreichenden Grund für eine Kriminalisierung sieht, ist die katholische Kirche anderer Meinung. Die Bischofskonferenz rückt legale Sterbehilfe in die Nähe von Totschlag und stuft sie als diabolisch ein.

Bisher war Sterbehilfe in Ecuador verboten. Eine Situation, die unheilbar kranken, leidenden Menschen kaum Hoffnung auf ein Sterben in Würde und Selbstbestimmung gab. Unter ihnen ist Paola Roldán Espinosa. Sie hat die unheilbare Krankheit Amyotrophe Lateralsklerose, bei uns spätestens seit der "Ice Bucket Challenge" als ALS bekannt, bei der sich Menschen einen Eimer Eiswasser über den Kopf gossen, um durch die Kälte eine kurze Lähmung hervorzurufen. Die Krankheit schränkt die Patienten durch die Lähmungen im Verlauf immer stärker in ihrem Leben ein. Um einen legalen Zugang zu Sterbehilfe bekommen zu können, wandte sich Roldán im September letzten Jahres an Ecuadors Verfassungsgericht. Dieses urteilte schließlich am 5. Februar, dass ein Gesetz zu legaler Sterbehilfe unter bestimmten Bedingungen geschaffen werden müsse. Im 79-seitigen Urteil betont das Gericht den Wert der Würde und der Autonomie der Menschen. Zudem beleuchtet es die bisherige Einordnung von Sterbehilfe und ihre Bestrafung und zeigt die Definition von Totschlag auf.

Festgelegt wird, dass Sterbehilfe nur in den Fällen legal wird, in denen schweres Leiden vorliegt und die Person, welche die Sterbehilfe in Anspruch nehmen wird, eine eindeutige, freie und informierte Zustimmung gibt.

Das Gericht differenziert zwischen dem Recht auf Leben und dem Recht auf Leben in Würde. So reiche der Schutz einer schieren Existenz nicht aus. Menschen müssten auch ihre Persönlichkeit frei entfalten können. Auf Seite 28 erklärt das Gericht darum, dass es der Ansicht ist, "… dass es unvernünftig ist, Menschen in solchen Situationen die Verpflichtung aufzuerlegen, am Leben zu bleiben, ohne ihre große Angst und ihr Leid zu berücksichtigen, wenn ihnen mitfühlendere Optionen zur Verfügung stehen, um ihren Schmerz zu beenden." In diesen Fällen sei es nicht akzeptabel, dass Dritte Menschen, die an einer schweren und unheilbaren Krankheit oder einer solchen Körperverletzung leiden, dazu zu zwingen, ihre Qualen zu verlängern.

Auf Seite 30 geht es auf die oft gehörte Warnung ein, legale Sterbehilfe könnte ein Todesurteil für Menschen mit Behinderungen, ältere oder kranke Personen sein. So seien diese Personengruppen unter keinen Umständen automatische Kandidat*innen für Sterbehilfe.

In seinem langen Schriftstück zum Urteil geht das Gericht auf Länder ein, in denen Sterbehilfe legal ist, so zum Beispiel die Niederlande, Neuseeland und Kolumbien, und benennt darin positive wie auch negative Beispiele zur Abwägung.

Auf Seite 8 geht das Gericht gar auf religiöse Einwände gegen die legale Sterbehilfe ein:

"14. Así como por (ii) las creencias religiosas aun cuando siendo mayoritarias, no son suficientes en un Estado laico para impedir el ejercicio del derecho a la muerte digna, pues deben considerarse como injerencias indebidas al libre desarrollo de la personalidad; (iii) el Estado mediante el uso innecesario del derecho penal y sin una interpretación conforme del tipo penal homicidio simple limita en el caso de la eutanasia el derecho al libre desarrollo de la personalidad; y (iv) de supuestas afectaciones al ejercicio de derechos de terceros a pesar de que, la decisión de vivir y morir dignamente no afecta el derecho de persona alguna."

("Religiöse Überzeugungen reichen, auch wenn sie mehrheitlich sind, in einem säkularen Staat nicht aus, um die Ausübung des Rechts auf einen würdigen Tod zu verhindern, da sie als unzulässiger Eingriff in die freie Entfaltung der Persönlichkeit angesehen werden müssen; der Staat schränkt im Fall der Sterbehilfe durch unnötige Anwendung des Strafrechts und ohne eine einheitliche Auslegung des Straftatbestands der einfachen Tötung das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ein; und reguliert angebliche Auswirkungen auf die Ausübung der Rechte Dritter, obwohl die Entscheidung, in Würde zu leben und zu sterben, die Rechte einer anderen Person nicht beeinträchtigt.")

Dass religiöse Überzeugungen nicht ausreichen, um Sterbehilfe zu verbieten, sieht die katholische Kirche anders. Am 14. Februar veröffentlichte die katholische Bischofskonferenz ein Schreiben mit ihrem Statement. Darin versteht sie sich als Sprachrohr für die meisten Ecuadorianer*innen und sieht sich der Praxis Jesu, Kranke zu heilen und Schmerzen zu bekämpfen, nahe. Für die Bischöfe bedeutet Sterbehilfe nicht den schmerzlosen Tod. Letale Medikamente könnten schließlich erbrochen oder der Tod anderweitig hinausgezögert werden. Für sie ist Sterbehilfe zudem kein Thema persönlicher Freiheit. Das Recht auf Leben sei unveräußerlich und wer das Leid auslöschen wolle, eliminiere fast die menschliche Natur. Die Bischöfe fassen zusammen, dass es diabolisch sei, das Leben verteidigen zu wollen, indem man Totschlag einen Rahmen der Legalität gebe.

Das Gericht hat dem Gesundheitsministerium zwei Monate Zeit gegeben, um ein Regelwerk zur Sterbehilfe vorzulegen. Danach hat die Defensoria del Pueblo (Ombudstelle für Menschenrechtsangelegenheiten) sechs Monate Zeit, um einen Vorschlag zur Regulierung vorzulegen. Schließlich bleiben der Nationalversammlung zwölf Monate, um das Gesetz zu verabschieden.

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