Atheismus als Grundlage des Humanismus

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Focussierung / Foto (c) Evelin Frerk

(hpd) Die Anwürfe und Schmähungen von religiösen Funktionären gegen den Atheismus sollen nicht unwidersprochen bleiben. Ein säkularer Humanist und Atheist hat dazu seine Gedanken und Thesen formuliert. Selbstbewusst, freundlich und verständlich.
 

Von Dirk Winkler

Es gilt, mit einem hartnäckigen Missverständnis aufzuräumen: Der bewussten oder unbewussten unzulässigen Gleichung, dass Religion und Glaube Werte vermitteln und der Atheismus keine Werte bietet. Da aber Werte notwendig sind für ein humanes menschliches Miteinander, wird aus dieser Gleichung geschlossen, dass Religion und Glaube per se gut und notwendig sind, der Atheismus hingegen zu wertfreiem Handeln, ja sogar zu inhumanem Handeln führt.

Gerne wird hierbei der Nationalsozialismus und der Stalinismus als ‚Beweis’ angeführt. Davon abgesehen, dass der Nationalsozialismus fest im Glauben an einen Gott ruhte und der Stalinismus selbst eine quasireligiöse Form angenommen hatte, geht diese Betrachtung am Wesentlichen vorbei.

Alle Religionen behaupten, dass Glauben an sich ein absoluter Wert ist. Sollte es einen Gott geben, hätten die Religionen damit auch recht. Gibt es ihn nicht, so kann Glaube an sich kein Wert sein. Ganz im Gegenteil ist Glauben dann ein Negativum.

Ich stimme zu, wenn gesagt wird, dass der Atheismus für keine Werte steht und keine Werte bieten kann.
Ich stimme auch zu, wenn gesagt wird, dass der Mensch Werte braucht.
Daraus folgt aber nicht, dass Religion notwendig ist, um Werte zu formulieren und zu bieten. Und schon gar nicht folgt daraus, dass es einen Gott geben muss, weil es Religionen gibt.

Gläubige ziehen diese beiden fehlerhaften Schlussfolgerungen nur zu gerne, wenn auch zumeist stillschweigend. So wie die Schlussfolgerung falsch ist, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, ist auch falsch, dass etwas sein muss, weil es sein soll.

Ich stelle also nicht in Abrede, dass der Atheismus keine Werte vorgibt. Ich vertrete diese Position sogar in aller Deutlichkeit. Der Atheismus gibt weder positive noch negative Werte vor. Er sagt nur aus, dass derjenige, der von sich sagt, dass er Atheist ist, nicht an übersinnliche Phänomene glaubt. Er ist insofern ein Naturalist.
Ich stelle auch nicht in Abrede, dass der Mensch positive Werte braucht und sich vor negativen Werten hüten soll.

Wenn also darüber Einigkeit herrscht, so können wir uns der entscheidenden Frage widmen, wie der Mensch zu Werten kommt und woher diese ihre Legitimation beziehen?

In Bezug auf die Frage nach der Entstehung von Werten und der Wertebegründung, ist es von entscheidender Bedeutung, ob es einen Gott gibt oder nicht.

Gäbe es einen Gott, so stünde außer Frage, dass er derjenige ist, der Werte definiert und schützt. Er wäre das Maß aller Dinge. Werte außerhalb von Gott zu suchen wäre irrig und vergebens.

Wie lässt sich diese Frage entscheiden? Im Grunde ganz einfach. Wer die Existenz von etwas behauptet ist in der Beweispflicht. Es kann nicht anders sein, da es theoretisch nicht möglich ist, die Nichtexistenz von etwas zu belegen. Hingegen ist es sehr wohl möglich die Existenz von etwas zu beweisen.

Bis heute gibt es keinen Beweis, dass es einen Gott gibt. Und solange es keinen Beweis gibt, ist die Frage nach der Existenz Gottes eindeutig entschieden. Es gibt ihn nicht. Diese Tatsache muss nicht allen gefallen. Sie kann sogar von Vielen sehr bedauert werden. Doch erinnern wir uns – nur weil etwas sein sollte, muss es nicht sein. Wir müssen die Dinge nehmen, wie sie sind, und mit Herz und Verstand das Beste daraus für uns Menschen machen. Falsche Annahmen von der Wirklichkeit schaden dem Menschen mehr, als sie ihm helfen.

Da Gott aber nicht existiert, kann es verschiedene Wege geben, wie der Mensch sich selbst Werte gibt und begründet.

Religion kann ein Weg dazu sein. Dieser Weg ist denkbar, auch ohne dass es einen Gott gibt.

Menschen schreiben Texte, in denen sie Werte vorgeben und nennen diese Texte heilige Schriften. Da aber alle „heiligen Schriften“ Menschenwerk sind, sind die Werte von Menschen für Menschen gemacht. Die religiöse Besonderheit dabei ist, dass die Texte, da sie „heilige“ Texte genannt werden, sich gegen Kritik immunisieren. Nebenbei können sie aufgrund ihrer „Heiligkeit“ vorzüglich als Machtmittel eingesetzt werden.

Theismus an sich schafft keine Werte. Wenn jemand an ein Nudelmonster glaubt, so sagt das noch gar nichts über seine Werte aus. Menschen geben dann aber dem Nudelmonster Werte bei. Die Ableitung diese Werte muss naturgemäß unsinnig sein, da es eben kein Nudelmonster gibt. Die Religion des Nudelmonsters kann aber dennoch, ohne dass es das Nudelmonster gibt, bestehen.

Die „heiligen Schriften“ als Menschenwerk sind auch der Beweis dafür, dass es Werte ohne einen Gott gibt. Da der Mensch sich Werte geben kann, sollte er das besser mit kritischem Verstand tun. Unkritisch Werte nachzubeten, die irgendwann einmal, irgendein Mensch formuliert hat, ist der bei weitem schlechteste Weg, Werte zu begründen.

Atheismus, obwohl selbst keine Werte bietend, ist zumindest die notwendige Voraussetzung für einen unbelasteten Ausgangspunkt auf der Suche nach positiven Werten. So gesehen kann Atheismus an sich bereits als Wert betrachtet werden. Sein Wert besteht darin, den Menschen in die Lage zu versetzen, ohne Scheuklappen, ohne Vorurteile, ohne Dogmen mit offenen Augen und kritischem Geist durch das Leben gehen zu können.

Ohne Schere im Kopf lassen sich die Herausforderungen der Zivilisation besser meistern.

Der Mensch kann positive Werte formulieren. Da es keinen Gott gibt, bleibt nur der Mensch, dies zu tun. Er hat gar keine andere Wahl, als es selbst zu tun. Er ist fähig, sich in andere Menschen hineinzufühlen und hineinzudenken. Er ist fähig, zu reflektieren und aus all dem ethische Normen zu formen. Das Ergebnis solcher Überlegungen ist werthaltiger als religiöse Manifeste.
Ausgehend von den natürlichen Bedürfnissen des Menschen, seinen natürlichen Neigungen und Anlagen, kann ein Wertesystem abgeleitet werden, dass dem Menschen in seinem Menschsein gerecht wird.