Berliner Urteil: Diakonie geht in Berufung

72_qu-titel7201cef-1.jpg

Fotos: © Evelin Frerk

BERLIN. (hpd) Am 19. Dezember hatte das Berliner Arbeitsgericht der konfessionslosen Klägerin aufgrund ihrer Bewerbungsablehnung Schadensersatz vom Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung e.V. zugesprochen. Dagegen hat das Diakonische Werk Berufung eingelegt. Was sagt die Klägerin dazu, was steht in dem bemerkenswerten Urteil und was meinen das Kirchenrechtliche Institut der EKD sowie das Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung (BUG) dazu?

"Die Mitgliedschaft in einer evangelischen oder der ACK angehörenden Kirche und die Identifikation mit dem diakonischen Auftrag setzen wir voraus" stand Ende 2012 in der Stellenausschreibung für eine Referentin zur "Erstellung eines unabhängigen Berichts zur Umsetzung der UN-Antirassismuskonvention in Deutschland" des Evangelischen Werks für Diakonie und Entwicklung.

Vor Gericht lamentierten die vier(!) VertreterInnen der Diakonie, man habe das Kriterium Kirchenmitgliedschaft doch nicht angewandt – und wenn, dann doch wohl zurecht. Der Richter nahm ihnen das angebliche nur anhand der Qualifizierung vorgenommene Aussortieren der Klägerin nicht ab, denn wozu sonst habe man diese Voraussetzung so klar gestellt. "Mit der Ausschreibung habe der Beklagte mitgeteilt, dass er nach der Religion zu differenzieren beabsichtige", so die Argumentation des Verteidigers von Frau F., der das Gericht folgte. In seinem Urteil fand es klare Worte zur kirchlicherseits behaupteten unbegrenzten Selbstbestimmung und dem Heranziehen der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinie.

Klägerin ist empört

"Die Kirche wollte eine Stelle im Antirassismusbereich besetzen und diskriminierte Anders- und Nichtgläubige! Das konnte ich mir nicht vorstellen, als ich mich aufgrund meiner exakt passenden Qualifikationen bewarb. Ich ging davon aus, dass meine langjährigen Erfahrungen in den gefragten Tätigkeiten für sich sprechen würden und ich im Bewerbungsgespräch weitere Punkte erläutern könnte. Dass es dazu dann aufgrund meiner Konfessionslosigkeit nicht gekommen ist, hat mich empört," schildert Frau F. ihre Gründe, Klage einzureichen.

Sie verfolge seither den Anzeigenmarkt genauer: "Durch diese Erfahrung der Ausgrenzung lese ich die zahlreichen anderen Stellenausschreibungen mit ähnlichen Formulierungen jetzt mit ganz anderen Augen. Darin werden qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber systematisch wegen ihrer Konfessionslosigkeit oder ihrer Zugehörigkeit zu einer anderen Religion ausgegrenzt. Ich entdecke mitunter entsprechende Ausschreibungen von kirchlichen Einrichtungen, die die jeweilige Stelle durch EU-Gelder aus dem Antidiskriminierungsbereich finanzieren. Das halte ich für eine völlig unakzeptable Situation, da die EU darauf hingewirkt hat, dass Gleichbehandlung eingeklagt werden kann. Zum Glück kann man sich – wie mein Fall zeigt - erfolgreich dagegen wehren. Zumindest wenn man finanzielle Unterstützung für eine Klage erhält, wie etwa ich durch Verdi."

Urteil zu Selbstbestimmung und Antidiskriminierungsgesetz

Der Richter sah in der Religionszugehörigkeit kein wesentliches berufliches Merkmal für die Stelle. Er argumentierte auf der Basis sowohl anhand der hauseigenen evangelischen Vorgaben und als auch der EU-Richtlinien.

Zunächst zog er die entsprechende interne Richtlinie der EKD heran, nach der in nicht-verkündigenden Tätigkeiten von der Forderung nach Kirchenmitgliedschaft abgewichen werden kann.

Er argumentierte weiter, es sei die EU-Vorgabe heranzuziehen, nach der es sich um eine "wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung" handeln müsse. In der deutschen Verwässerung des Antidiskriminierungsgesetzes aus 2006 in Form des kirchenfreundlichen §9 AGG (sogenannte Kirchenklausel im Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz) ist zwar nur von einer wesentlichen Anforderung die Rede. Das AGG stelle jedoch einen Teil der Umsetzung von EU-Richtlinien dar. "Dessen Regelungen und damit auch §9 AGG sind richtlinienkonform auszulegen", steht dazu im Urteil.

Man könne sich auch nicht auf eine schier grenzenlose Auslegung der Weimarer Reichsverfassung (WRV) berufen. Im Urteil heißt es dazu: "Gestützt auf das Selbstbestimmungsrecht kann jedenfalls nicht die konkrete Einstellungsentscheidung begründet werden, denn auch diese liefe wiederum auf eine gänzlich freie Entscheidung des Beklagten hinaus, ohne an Grundsätze Europäischen oder innerstaatlichen Rechts gebunden zu sein. Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen nach Art.137 Abs. 3 WRV bezieht sich ausdrücklich auf das 'Ordnen' und 'Verwalten' ihrer Angelegenheiten innerhalb der Grenzen der geltenden Rechte."

Somit sei den Kirchen zwar das Erstellen eigener Richtlinien durchaus erlaubt, was sich aber nur auf bestimmte Positionen beziehen kann. Was aber nach eben dieser Richtlinie für die betreffende Stelle nicht zwingend abzuleiten sei, da sie nicht als verkündigungsnah einzustufen sei.

Kirchliche Richtlinien enger als AGG

Dass die eigenen Richtlinien weniger Spielraum lassen als die deutschen Formulierungen im AGG, bescheinigte auch ein Richter bereits katholischen Arbeitgebern. Das Arbeitsgericht Aachen zog nämlich Ende 2012 die Grundordnung der Caritas heran, um eine Diskriminierung bei der Ablehnung eines Intensivpflegers aufgrund seiner Konfessionslosigkeit festzustellen. Dort war keine Berufung eingelegt worden. Vermutlich um sich nicht auf der Basis der eigenen Grundordnung noch eine blutige Nase zu holen. Und um den Richterspruch als Einzelfallurteil abtun zu können.

Berufung als nächste Weichenstellung

Wie soeben in Erfahrung gebracht werden konnte, hat das Evangelische Werk Berufung eingelegt. Nun müssen die Kirchenjuristen bis Anfang März noch eine Begründung ausarbeiten. In welche Richtung das gehen könnte, zeichnet sich vermutlich schon an der Stellungnahme des Leiters des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD, Hans Michael Heinig, ab. Dieser bezeichnete bereits Anfang Januar dem Evangelischen Pressedienst gegenüber das Urteil als "Ausreißer". Das Gericht versuche, "mit dem Urteil einen Paradigmenwechsel einzuleiten." Es gehe weit über die übliche Interpretation der Gesetze hinaus. Und das, obwohl der Gesetzgeber doch signalisiert habe, an der bestehenden Praxis der Rechtsprechung festhalten zu wollen.