Warum züchtigen fromme Christen ihre Kinder?

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Symbolbild
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Der Dokumentarfilm "Die evangelikale Welt der Läderachs – Züchtigung im Namen Gottes", den das Schweizer Fernsehen am 21. September ausgestrahlt hat, löste bei vielen Zuschauerinnen und Zuschauern Bestürzung aus. Ehemalige Schülerinnen erklärten darin, dass sie in der Privatschule "Domino Servite" der umstrittenen Freikirche Kwasizabantu (KSB) auf dem Hof Oberkirch in Kaltbrunn über Jahre mit unterschiedlichen Gegenständen, vor allem mit Gürteln, körperlich gezüchtigt worden seien.

Besondere Brisanz bekam der Film von Eveline Falk, weil die Betroffenen auch den ehemaligen Chocolatier Jürg Läderach, der die Freikirche und die Schule 1995 mitgegründet und hauptsächlich finanziert hatte, beschuldigten. Die dazu Befragten berichteten, er habe manchmal bei den Züchtigungsritualen zugeschaut oder sei darüber informiert gewesen. Für Jürg Läderach gilt die Unschuldsvermutung.

Nun rätseln viele, weshalb in der KSB früher Kinder gezüchtigt wurden. Weiter steht die Frage im Raum, warum radikale Gläubige aus Freikirchen Kinder geschlagen haben und es möglicherweise noch heute tun. Der hauptsächliche Grund muss beim fundamentalistisch ausgelegten christlichen Glauben gesucht werden.

Die Bibel als authentisches Wort Gottes

Fromme Christen aus Freikirchen glauben, dass die Bibel – auch das Alte Testament – von Gott oder dem Heiligen Geist inspiriert ist. In ihren Augen stellt das Buch der Bücher das authentische Wort des Schöpfers dar.

Es beginnt mit der Erbsünde und der Vertreibung aus dem Paradies. Danach kommen Kinder als sündhafte Wesen auf die Welt, in der Satan angeblich sein Unwesen treibt. Deshalb müssen die Eltern ihre Kinder zum bedingungslosen Gehorsam erziehen. Nur so können sie zu gottesfürchtigen Wesen werden und der drohenden Hölle entfliehen, wird frommen Christen manchmal gepredigt.

Die Bibel gibt den Takt vor. Im Buch der Sprüche im Alten Testament heißt es: "Wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn; wer ihn aber liebhat, der züchtigt ihn beizeiten." Oder: "Züchtige deinen Sohn, solange Hoffnung da ist; aber lass deine Seele nicht bewegen, ihn zu töten."

Liberale Christen interpretieren solche schockierenden Aussagen als Gleichnis oder Metapher, die in die heutige Zeit übersetzt werden müssen. Freikirchen sind hingegen an das Wort gebunden.

Der Zeitgeist und das Gesetzbuch verbieten es heute freikirchlichen Predigern und Pastoren, körperliche Strafen anzuwenden. Deshalb hüten sie sich, sie in ihren Predigten zu verkünden oder zu empfehlen.

Es gibt aber auch die nonverbale Züchtigung, die mit Indoktrination, Angst oder gar Psychoterror arbeitet. Die Opfer der KSB, in der Kinder und Jugendliche von Mitte der 1990er bis mindestens Anfang der 2000er Jahre gezüchtigt worden sind, erklären im Film, dass die anschließende psychische Gewalt noch schlimmer gewesen sei.

Die Schmerzen seien irgendwann vergangen, die Angst vor der Hölle und die vielfältigen Gehorsamkeitsrituale hätten sie hingegen permanent verfolgt. Teilweise bis in die heutige Zeit.

Zu diesem Thema predigte kürzlich Klaus Aspacher im deutschen Kwasizabantu-Ableger in Lindach. Dieser war quasi die Schwesterkirche der KSB Schweiz in Kaltbrunn. Beide haben sich inzwischen von der KSB-Mutterkirche in Südafrika abgewandt und sich neue Namen zugelegt.

"Sie regieren uns, sie steuern die Familie"

Die deutsche Freikirche nennt sich nun Freie Evangelische Gemeinschaft Lindach, die schweizerische heißt neu Evangelische Gemeinde Hof Oberkirch. Die beiden pflegen weiterhin gute Kontakte, wie Insider berichten. So auch Jürg Läderach, der in Lindach immer noch gelegentlich predigen soll.

Aspacher erklärte in seiner Predigt das Gehorsamsgebot so: Viele Menschen glaubten, der Mensch sei gut, doch damit stelle man die Bibel auf den Kopf. "Es ist eine Herausforderung für uns Eltern, das zu verstehen, dass keiner gut ist." Auch nicht ihre eigenen Kinder, "so klein und schnuggelig" sie auch seien. "Sie regieren uns, sie steuern die Familie."

Dabei sage die Bibel, dass sie in Sünde geboren seien, sagte der Prediger. "Da ist nichts Gutes an diesem Kind." Sie müssten in die Hölle fahren, wenn sie sich nicht ändern und Jesus nicht annehmen würden, verkündete Aspacher.

Deshalb müsse man die Kinder Gehorsam lehren. Glaubensleben ohne Gehorsam funktioniere nicht. "Gott verlangt von uns vollen Gehorsam. Unser Leben ist ein einziges Leben im Gehorsam."

Die Gläubigen kennen die Bibel und die Aussagen über die körperliche Züchtigung mit der Rute in aller Regel gut. Man kann also davon ausgehen, dass in Familien mit besonders radikalen Eltern die Kinder weiterhin Bekanntschaft mit diesem Schlaginstrument oder einem anderen Gegenstand machen. Auf jeden Fall berichten Aussteiger gelegentlich, vom Vater geschlagen worden zu sein.

Sich auf ein Kind setzen, um es zu versohlen

Mitverantwortlich für solche Züchtigungen sind auch schriftliche Ratgeber, die in vielen Freikirchen zirkulieren. Im Buch "Wie man einen Knaben gewöhnt" wird geraten: "Wenn Sie sich auf ein Kind setzen müssen, um es zu versohlen, dann zögern Sie nicht."

Es werden außerdem konkrete Anleitungen zum Züchtigungsinstrument geliefert: "Dagegen schmerzen die Schläge eines leicht biegsamen Gegenstandes, ohne dabei Knochen oder Muskeln zu schädigen. (…) Verspürt das Kind keinen Schmerz, ist das Instrument wahrscheinlich zu leicht oder zu weich. Bleiben Verletzungen zurück, war der Gegenstand zu hart."

Das Phänomen der körperlichen Züchtigung und psychischen Gewalt in freikirchlich-evangelikalen Kreisen hat die Zürcher Fachstelle Infosekta in Zusammenarbeit mit der Stiftung Kinderschutz Schweiz vor ein paar Jahren in der Studie "Erziehungsverständnisse in evangelikalen Erziehungsratgebern und -kursen" aufgearbeitet und dabei 21 Bücher und von Freikirchen angebotene Kurse untersucht.

Die beiden Institutionen kamen zum Schluss: "Der heute in verschiedenen Gemeinschaften verwendete Ratgeber 'Kindererziehung nach Gottes Plan' des Ehepaares Marie und Gary Ezzo beispielsweise ist eine systematische Anleitung zu körperlicher und psychischer Misshandlung von Kindern."

Die Studie gibt zu bedenken, dass der rigide Glaube mit psychischer Gewalt verbunden sei: "Die Ritualisierung des Züchtigungsvorgangs hat etwas Sadistisches." Das führe zur Paradoxie "Gewalt aus Liebe". Auch die in Freikirchen weit verbreitete Evangelisierung von Kindern und Jugendlichen mit dem Mittel von Drohung und Angst stelle eine Form psychischer Gewalt dar, heißt es in der Studie. Darunter falle die Angst, sündig zu sein und am Jüngsten Tag nicht gerettet zu werden.

Übernahme mit kleinen Änderungen mit freundlicher Genehmigung von watson.ch.

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