Carl Achleitner – Der Star der säkularen Trauerredner in Wien

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Carl Achleitner mit Dr. Gerhard Engelmayer am Maurer Friedhof.
Carl Achleitner mit Dr. Gerhard Engelmayer

Unser Autor Dr. Gerhard Engelmayer traf den sympathischen Schauspieler und Trauerredner Carl Achleitner am Mauer Friedhof in Wien-Liesing. Hier hat vieles an Trauerfeiern begonnen, was heute schon eine ansehnliche Form angenommen hat. Hier entstand vor Jahren die Idee von Trauerrednern, die statt eines Priesters eine Rede am Grab halten, um das Begräbnis säkular und vielleicht etwas weniger steif als üblich zu gestalten. Das war für Schauspieler, die immer wieder einmal zwischen den Engagements Zeit und Lust haben, etwas anderes zu machen, genau das Richtige.

Ein Erfolgsmodell, denn selbst wenn der Priester ein lockerer Mensch ist, er muss sich an seine Liturgie halten. Damit ist ein gewisses Maß an Eintönigkeit bereits vorgegeben. Dazu kommt ein Prozentsatz an Kirchenmarketing und Huldigungen, mit denen der Normalbürger von heute nur mehr wenig anfängt. Der soziale Druck seitens der Gemeinde, der ein fixes Protokoll vorschrieb und in dem der Pfarrer eine gewichtige Rolle hatte, ist schwächer geworden. Der Pfarrer, der im Ort jeden bis ins letzte Schlafzimmergeheimnis kannte, ist heute in der Stadt ein angeheuerter Fremder, der an der Begräbnisfeier kaum einen emotionellen Anteil nimmt und der seinen fixen Tarif verrechnet. Damit wird der parochiale Anteil der Feier auch ein feststehender, manchmal geleierter und – gemessen an den heutigen Ansprüchen – ein wenig befriedigender Akt.

Seit fast 50 Jahren gibt es jetzt diese Zelebrations-Dienstleistung bereits in Österreich. In anderen Ländern, die nicht so hartleibig in ihrer katholischen Sozialisierung sind, hat man schon viel früher mit säkularisierten Formen von Bestattungen experimentiert. Aber die Konvention siegt in immer selteneren Fällen über den Wunsch der Angehörigen, ein "lebendiges", ein menschliches, persönliches, ein weniger formelles Begräbnis abzuhalten. Dazu kommen ja die schier unendlichen Möglichkeiten von Bestattungsformen, die sich immer vielfältiger entwickeln, wozu eben auch eine kreativere, tröstlichere Rhetorik passt als der Verweis des "Wiedersehens in der Ewigkeit".

Die beherrscht der Oberösterreicher mit dem gepflegten Charme. Man nimmt ihm ab, dass er nun schon über 2.500 Menschen auf ihrem letzten Weg begleitet hat und die Angehörigen gerade ihn weiterempfohlen haben. Er ist damit nicht reich geworden, sagt er, aber die innere Befriedigung, Menschen gelegentlich echt und unverfälscht geholfen zu haben, schwierige Stunden nicht nur zu überstehen, sondern auch feierlich mit menschlicher Tiefe zu gestalten, das hat ihn sehr berührt und bewegt ihn immer wieder, bis heute.

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Die menschlichen Begegnungen, die hier zwangsläufig zustande kommen, die bewegenden Szenen am Grab, die komischen Seiten seiner Erlebnisse als Grabredner hat Carl Achleitner jetzt in seinem Buch erzählt. "Das Geheimnis eines guten Lebens: Erkenntnisse eines Trauerredners" heißt das Werk, das vor wenigen Tagen erschienen ist.

Das "C" im Namen deutet auf eine eher konservative Familie hin, in der Carl in Grieskirchen in Oberösterreich groß geworden ist. Im Gespräch mit uns hält Achleitner nicht hinterm Berg, dass er konservativ erzogen worden ist, was sich häufig auch negativ auf seinen Hosenboden ausgewirkt hat, weil der Vater es in der Bibel als Erziehungsmethode vorgeschlagen fand (Spr 13,24). Dementsprechend hat er sich später intensiv und kritisch mit der Religion auseinandergesetzt und hat alle "Säulenheiligen" des säkularen und evolutionären Humanismus, von Deschner und Dawkins über Möller bis Schmidt-Salomon gelesen.

Sein Weltbild hat sich demnach in Richtung Humanismus entwickelt, er ist sogar Mitglied in der Giordano-Bruno-Stiftung. Das hat an seiner emotionellen Behandlung des Themas Begräbnis und Tod nichts geändert, eher im Gegenteil. "Letztlich geht es um die Liebe" bekräftigt Achleitner seine Erlebnisse zusammenfassend.

In seinem Buch erzählt er eine Reihe von konkreten Erlebnissen, die seine Arbeit anschaulich machen. Selten hat er Auftritte gemeinsam mit Priestern. Einmal war es aber doch so, dass ein Pfarrer unbedingt gewünscht war. Es war ein Ungar mit starkem Akzent und lauter Stimme. Der Verstorbene war ein junger Mann, den ein Autofahrer überfahren hatte. Achleitner machte seinen Part mit tiefer Emotion, weil Gott diesmal einen so jungen Menschen "abberufen" hatte. Unwillkürlich kommen einem Gedanken, warum gerade dieser junge Mensch? "Wo war Gott?", sagte Achleitner in seiner Rede. Nachdem er seinen Part abgeschlossen hatte, kam wieder der ungarische Priester dran, der in seinem starken Akzent einen Schlusspunkt versuchte und sagte: "Der Herr hat gesagt ..." Da wartete Achleitner jetzt gespannt, was der Herr zu dieser schrecklichen Tragödie gesagt haben könnte. Aber der Priester fuhr fort: "Der Herr" – und deutete jetzt auf Achleitner – "der Herr hat gefragt, wo war Gott?" Pause. "Nun, der junge Mann F. starb auf einer Kreuzung und ein anderer junger Mann, Jesus Christus, starb am Kreuz!"

Solche Geschichten kann man sich kaum ausdenken, die schreibt nur das Leben.

Eine andere Geschichte betrifft den Sohn eines Wiener Geigenbauers, ein Jude, dem 1938 als einzigem seiner Familie die Flucht nach England gelang. 27 Familienmitglieder wurden Opfer des Nazi-Terrors. Nach dem Krieg kam er zurück nach Wien, in die "Stadt der Mörder", um, wie er sagte, "zu verstehen und zu verzeihen". Er war ein weiser alter Mann geworden und Achleitner schreibt, dieses Begräbnis, die Größe dieses Mannes, habe sein Leben und seine Sicht auf die Kraft des Verzeihens verändert. Doch damit nicht genug: auf dem Weg zum Grab fiel Achleitner ein Name auf einem Grabstein auf, der ihm bekannt vorkam: Karl Silberbauer. Im Buch heißt es dazu:

Ich hatte diesen Namen erst vor kurzem gelesen, in Simon Wiesenthals Buch "Recht, nicht Rache", in dem es um die Geschichte hinter dem Tagebuch der Anne Frank geht. Es gab in den ersten Nachkriegsjahren immer wieder Behauptungen aus einschlägigen Kreisen, das Tagebuch sei eine Fälschung, Anne Frank habe es nie gegeben. Also hat Simon Wiesenthal sich auf die Suche nach einem Zeugen gemacht und alles unternommen, um jenen SS-Mann auszuforschen, der Anne Frank und ihre Familie in deren Amsterdamer Versteck verhaftet hat. Das war Karl Silberbauer, Polizist und SS-Mann aus Wien. Ich habe später recherchiert, und ja, das war sein Grab. Simon Wiesenthal hat ihn 1963 in seiner Geburtsstadt Wien aufgespürt. Silberbauer hat die Verhaftung von Anne Frank und damit die Echtheit des Tagebuches bestätigt. Da er auf Befehl gehandelt hatte, wurde das Verfahren gegen ihn 1964 eingestellt. 1972 ist Silberbauer verstorben. Hinter mir rückt der Trauerzug auf, ich gehe weiter. Etwa fünfzig Meter von Karl Silberbauers Grab entfernt wird die Urne des Herrn F. zur Ruhe gebettet. Zwei Lebenswege, denke ich mir, die sich auf dem Friedhof kreuzen, zwei Menschen, die Spuren hinterlassen haben, aber auf welche Art?

"Es ist dieses Grab, an dem wir hier stehen", sagte Achleitner zu mir, "sie liegen fast Seite an Seite hier am Maurer Friedhof!"

Wir reden noch lange über Buddha und Weinstein, über das Lied "Imagine" von John Lennon, mit dem wir Humanisten unseren ersten "Open Mind Summit" eröffnet haben und entdecken noch viele Gemeinsamkeiten, wie es unter Humanisten eben üblich ist. Ich erzähle von unseren Plänen, in Österreich eine Trauerrednerorganisation wie in so vielen anderen Ländern Europas aufzubauen. Ich bekräftige, dass wir genau solche "Achleitners" brauchen würden, die so viel Herz und Hirn mitbringen und gleichzeitig so humanistisch denken wie er, und sich auch offen dazu bekennen. Aber die muss man eben suchen.

Mittlerweile ist Carl Achleitner von zahllosen TV-Stationen und Zeitungen interviewt worden und am Totensonntag wurde in der ARD ein Interview mit ihm ausgestrahlt. Damit hat Achleitner bewiesen: Das ist kein Nebenjob, das ist kein Ersatz für jemand anders, da ist etwas Neues und Wichtiges für Menschen entstanden, die ein besonderes Abschiedsfest für ihre Lieben haben wollen. Wer etwas mit so viel Herzblut macht, der kann auch als Trauerredner zum Star werden.

Für uns Humanisten ein besonderes Buch, das es in Österreich in die Bestsellerlisten schaffte, in den Medien mit hymnischen Rezensionen bedacht und bei Amazon mit fünf Sternen bewertet wurde.

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