Rezension

Christliche Wurzeln des modernen Antisemitismus

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Der Publizist Tilman Tarach legt mit seinem Buch "Teuflische Allmacht" laut dem Untertitel eine Erörterung "Über die verleugneten christlichen Wurzeln des modernen Antisemitismus und Antizionismus" vor. In kurzen Abschnitten macht der Autor anschaulich ideengeschichtliche Kontinuitäten deutlich und kritisiert deren Tabuisierungen in vielen einschlägigen Veröffentlichungen.

Lange dominierte die Auffassung, wonach ein religiöser "Antijudaismus" und ein rassistischer "Antisemitismus" strikt zu unterscheiden seien, auch in der Fachliteratur. Auf den ersten Blick gab es gute Gründe dafür, denn die Ablehnung von religiösen Auffassungen muss nicht notwendigerweise mit der Konsequenz einer rassistischen Vernichtungspolitik einhergehen. Gleichwohl ignorierte diese Deutung, dass aus Inhalten der religiösen Judenfeindschaft eben auch Konsequenzen für rassistische Praktiken ableitbar waren. Darauf macht erneut der promovierte Jurist Tilman Tarach aufmerksam, sein Buch zum Thema trägt den Titel: "Teuflische Allmacht. Über die verleugneten christlichen Wurzeln des modernen Antisemitismus und Antizionismus". Der Autor will darin der Frage nachgehen, "in welchem Verhältnis die Gründungsmythen und Leitideen der christlichen Lehre als solche zum Antisemitismus stehen – und zwar durchaus auch zum modernen, nationalsozialistischen und … auch … israelbezogenen Antisemitismus" (S. 9 f.).

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Bei seiner Erörterung dazu geht Tarach indessen nicht mit einem entwickelten Untersuchungsinstrumentarium vor, postuliert er doch bereits zu Beginn: "Die nationalsozialistische Weltanschauung war mehr als gemeinhin angenommen von Ideologemen des christlichen Judenhasses durchsetzt" (S. 10). Genau dafür liefert der Autor dann aber auch viele Belege anhand von historischen Quellen, wobei er den ideengeschichtlichen Hintergründen der rassistischen Judenfeindschaft nachgeht. Er differenziert dabei schon in der Einleitung wohltutend, wenn etwa zwischen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit unterschieden wird, ohne dabei die bestehende Gemeinsamkeit von diffamierenden Gruppenbildern zu leugnen. Dann hebt Tarach anschaulich die vielen christlich geprägten judenfeindlichen Stereotype hervor, wobei die Fortexistenz mittelalterlicher Hassbilder erkennbar ist. Es geht um "Christusmörder", "Giftmörder", "Gottesmörder", "Kinder des Teufels" oder "Reinheit des Blutes".

Auch die hier letztgenannte rassistische Komponente lässt sich bereits vor dem 19. Jahrhundert nachweisen, wie der Autor dann als Beleg für seine Kontinuitätsthese aufzeigt. Denn derartige Auffassungen gab es bereits in den spanischen Blutreinheitsgesetzen des Spätmittelalters. Noch deutlicher zeigt sich anhand von älteren Behauptungen die gemeinte Kontinuität, etwa bei "gelbem Fleck" und "Judenstern" auf der Kleidung oder bei "Ritualmord"- und "Kindermörder Israel"-Vorwürfen. Der Autor macht in den jeweiligen Kapiteln exemplarisch die gemeinten Kontinuitäten deutlich, wobei Bildernachdrucke und Zitate anschaulich wirken. Ergänzt werden diese Ausführungen durch Exkurse zu besonderen Themen, seien es die Auffassungen von "Christlichen Zionisten", "Juden im Islam" oder die "Ideologie des Christentums". Dieser letzte Abschnitt im Buch fragt nach den prägenden Inhalten der christlichen Religion, die für den aus ihr ableitbaren Anstieg der Judenfeindschaft genannt werden könnten. Der Autor belässt es dabei aber bei drei Seiten.

Darüber hinaus scheint auch ein besonderer Aspekt gegen seine zentrale Deutung zu sprechen: Zwar waren die genannten Agitationsinhalte inhaltlich ähnlich, eine christliche Vernichtungsgewalt gab es aber nicht. Belässt man die grundlegende Aussage des Autors auf der Ebene der ideengeschichtlichen Wirkung, dann spricht diese Einsicht auch nicht gegen die von ihm postulierten Zusammenhänge. Ein wichtiger Gesichtspunkt, der seine Deutung stützen würde, kommt indessen nicht gesondert vor: die Absicht einer "Erlösung" eben durch die "Endlösung". Saul Friedländer, ein bekannter israelischer Historiker, hatte treffend von einem "Erlösungsantisemitismus" gesprochen. Damit machte er indirekt darauf aufmerksam, dass sich in der nationalsozialistischen Judenvernichtung eben auch latente religiöse Prägungen artikulierten. Insofern spricht gegen die Kontinuitäten, die das auch für Tarach zentrale Thema sind, eben gar nicht so sehr der eigentliche ideologische Motivationsfaktor. Derartige Denkungsarten bedürfen auch heute noch der kritischen Reflexion.

Tilman Tarach, Teuflische Allmacht. Über die verleugneten christlichen Wurzeln des modernen Antisemitismus und Antizionismus, Berlin – Freiburg 2022, Edition Telok, 224 Seiten, 14,80 Euro

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